23.01.2024

Briefe



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ID: 26284
Geschrieben am: Donnerstag 20.11.1890
 

20.11.1890, London
Wie unendlich hart ist es für mich daß ich Dir gar nicht helfen kann in Deiner Noth! Wirst du es aushalten ohne Schaden an Leib und Seele zu nehmen, mich erfaßt oft die schrecklichste Angst wenn ich mir überlege wie schutzlos und allein Du in diesem Kampfe stehst, sind denn Sommerhoffs gar nichts, nehmen auch sie nicht Antheil oder sind sie nur mit sich beschäftigt. Das ist die alte
Schinderei die ich ja kenne, nur waren wir zu zweit und nun mußt Du alles allein tragen. Ich wußte und fühlte es damals gleich, daß mein Austritt aus Euerem Hause gar nichts bessert. Kannst Du nicht durch irgend eine List Dir Ruhe verschaffen? Z.B. wenn Du erzähltest daß ich so verwöhnt werde daß ich Dir nicht mehr das bin was ich Dir war, sage meinetwegen die schlechtesten Schlechtigkeiten von mir, Du sollst sehen es ist ja alles nur blinde Eifersucht und dann wird es vielleicht besser. Das Ziel von Mariens wahnsinnigem Haße gegen mich, ist, uns zu trennen. Und da sie darin noch nichts erreicht hat so läßt sie nicht nach und nimmt an allem Ärgerniß. Solch ein Leben wie Du jetzt hast ist schädlich und muß Dir der Selbsterhaltungstrieb über alle Bedenken hinaushelfen. Diese Reibereien sind nicht nur für Dich schlecht sondern auch für Mama, schlage ihr doch vor fort zu gehen, komm nach Ostern hierher und gieb einige Stunden hier, wenn ich es früh genug weiß so garantiere ich Dir reichliche Einnahmen so daß Du keinen Heller mitzubringen brauchst. Was hilft Dein Dulden wenn es die Erbitterung in nichts mildert? In zwei langen Jahren haben wir jetzt die Erfahrung gemacht das das geschehene Unrecht in umgekehrter Richtung immerfort neue Wunden schlägt, und daß Mama's Ansichten darüber so verkehrt sind daß nicht die leiseste Hoffnung ist, all dies zu bessern. Es ist doppelt ungerecht da ich ja doch ohne Wiederrede Alles aufgegeben habe damals und ganz und für immer aus dem Wege gegangen bin. Ich kann mir nur denken daß Mama zu viel immer wieder über mich hören muß und sich darüber ärgert. Was soll ich aber thuen um dies zu verhindern. Mein armes Genchen Du trägst Unerträgliches und all dies um mich! d.h. es steht fest bei mir, daß wenn nicht ich, so wäre Jemand oder etwas anderes gefunden worden und da ist es vielleicht noch besser eine bestimmte Person dafür zu haben. Ich kann auch ein gut Theil aushalten, besonders hier über dem Waßer, könnte ich Dir nur Alles abnehmen. Ich habe May meine Lebensgeschichte erzählt und wie ich zu Dir kam und was uns trennte und was mich nach London brachte. Sie ist voll Bewunderung für Dich und hat unsere Lage ganz richtig aufgefaßt, sie sagt wir haben ja doch ein Ziel! Es ist auch nur Deine Augenblickliche Lage die unerträglich ist. Versuche es doch wieder einmal mit einer Unterredung mit Mama, Du bist darin vielleicht zu stolz. Frage doch worin Du Mamas Unwillen erregst vielleicht sagt sie Dir etwas was Du wiederlegen kannst. (...) Auf meine Bücher freue ich mich sehr ich bekomme inzwischen hier eine ganz nette Sammlung englischer Bücher, May bringt mir täglich etwas und mein Büchergestell ist bereits recht voll.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: London
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s. 980/12-8
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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