23.01.2024

Briefe



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ID: 26271
Geschrieben am: Samstag 11.10.1890
 

11.10.1890, London
Ich habe jetzt eine sehr ruhige fleißige Zeit und bereite mich für alle Concerte vor die einzige Unterbrechung bringt mir Miß Hope die dafür sorgt daß ich in die Luft komme jeden Tag. Ich studire ein neues Werk von Parry: »St. Cacilia's Day«, und habe viel Freud daran es ist warme Musik, alle Kräfte wende ich aber jetzt an die »Fidelio« Arie und gehe heute zu Manns um ihm das Stück für den
13t Dezember anzukündigen. Die Cottage Unterbrechung kann nämlich heute nicht stattfinden und ich gehe ins Crystalpalast Concert, höre J. Klengel und spreche Manns. Gestern war ich mit Fr. Joachim und Gertrude bei Hope zur luncheon und nachher fuhr ich mit meiner Gönnerin nach Chelsea und besuchte die infirmary des Workhouses. Sie hatte dort ein junges Mädchen aufzusuchen und ich sah einen Krankensaal mit 24 Betten und ebensoviele Jammergestalten, alte Frauen die mit dem Ausdruck stumpfer Verzweiflung auf ihren Tod warten, junge elende Geschöpfe mit fiebernden Wangen. Gemeine Gesichter und solche auf denen der Wahnsinn geschrieben steht. Unter allen die-
sen eine Frau mit einer unheilbaren Krankheit im Bette liegend und mit dem Benehmen einer vornehmen Frau, sie bot mir einen Stuhl an an ihrem Bette und sprach heiter und frei über die Arbeiten die sie machten, »all for the institution« Ein Baby war da auch und alles sah so ordentlich aus und die Nurse von diesem Saale war das hübscheste und freundlichste was ich jeh gesehen habe. Die Sonne beleuchtete voll all das Elend und machte es wirklich weniger trostlos. Es ist doch zu schrecklich daß man von alledem so wenig weiß und daß man in nichts helfen kann. Du kannst Dir denken wie wenig gut ich mich zu benehmen weiß in solcher Lage. Die Damen vom Comité die uns herumführten und Miss Hope gingen sofort an die Betten heran und sprachen mit den Frauen und ich war in der peinlichsten Verlegenheit bis mich die arme Frau erlöste. Ich möchte nicht gerne in dieser Richtung etwas anfangen wenn ich nicht wirklich etwas leisten kann und will nun sehr langsam versuchen ob dies überhaupt möglich ist. Mittwoch gehe ich mit Miß Hope nach dem vielbesprochenen Cottage und zwar ist da die Übergabe eines eisernen Hauses welches Miß Hope und ihr Vater den Armen Leuten in diesem Dorfe schenken. Ich singe englische Lieder, die ich noch nicht gesehen habe, ich soll sie bis Mittwoch bekommen. Es ist das Haus ein Lokal wo die Leute Abends, Beleuchtung, Heizung und Bücher vorfinden und ihre Erholungsstunden zubringen sollen.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: London
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s. 980/11-11
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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