23.01.2024

Briefe



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ID: 26250
Geschrieben am: Freitag 09.05.1890
 

9.5.1890, London
Das war der glänzendste Erfolg den ich je mit erlebt habe gestern im Philharmonic. Borwick wurde schon empfangen als wüßten sie vorher wie gut er spielen würde. Er spielte ganz ausgezeichnet, so klar, rein und schön. Er hat einen wunderschönen Anschlag und große Freiheit innerhalb der gebotenen Grenzen. Ersten und zweiten Satz des Concertes spielte er ganz wunderschön im dritten schien er mir zu schwach, vielleicht lag dies aber auch an meinem Platz. Ich hatte dritte Reihe ganz an der Seite weg vom Klavier. Das Klavier in Bechstein klang wundervoll, aber vielleicht hätte ein Steinway mehr angeboten besonders im Baß. Das Publikum war dermaßen entzückt daß sie ihn nach dem Concert 4 mal riefen. Die Solis brachten ihm ein Encore, auch da war er mir in der Rhapsody zu zahm und das Stück hat große wüste Längen. Die Rubinstein Etude gelang ihm ausgezeichnet und darauf spielte er am allerbesten ein Stück was ich schon von ihm gehört habe, von Liszt. Die Läufe darin waren entzückend. Da sah man so recht deutlich die gute Schule, alles war klar correct und doch frei. Ich ging nach den Solis hinein zu ihm und fand ihn mit Natalie <Janotha>, die ich erst gar nicht erkannte. Er hatte mir den Nachmittag selbst ein Billet gebracht ich war aber nicht zu Hause gewesen, und ich gratulirte ihn also und dankte ihm. Natalie machte sich dabei bemerkbar und sagte, »ich schreibe morgen«! und dies wiederholte sie immerfort indem sie wegging. Wir lachten beide als sie draussen war. Nachdem kam die Menter und der neue russische Pianist Sapelnikoff, beide waren sehr nett und Sapelnikoff nahm Borwicks Hände und drehte sie hin und her als ob er daran was sehen könnte, Borwick that dasselbe es war wie ein paar junge Hunde die sich beschnüffeln. B<orwick> sagte zu mir nicht wahr, hier in London weiß man erst was Leben ist! Der Russe sah neben ihm aus wie ein verkommener Bursch, schwammig, blaß und überarbeitet, wärend Borwick recht beruhigend aussieht. Mir fiel nur auf das das Gesicht so klein und zusammen gedrängt ist, ganz wie bei Shakespeare (ich meine den Sänger) und so schien er mir früher nicht. Doch nun genug von dem »dear boy« ihr werdet Schiffsladungen über dieses Thema zugesandt bekommen, ich saß hinter Lehmanns die sehr entzückt waren. Miß Loch sprach ich auch. Es war überhaupt alles da was hin gehörte hauptsächlich alle Musiker. Heute habe ich Generalprobe für Brahms »Requiem«.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: London
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s. 980/9-15
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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