23.01.2024

Briefe



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ID: 26183
Geschrieben am: Sonntag 01.09.1889
 

1.9.1889, London
Dieser erste Tag in London war gleich sehr anstrengend und ich wackelte doch noch tüchtig von der Abfahrt! In Basel am Bahnhofe erkundigte ich mich ob der Zug sehr besetzt sei und der Cassier sagte nein so nahm ich also zweite Classe 94 Franken und kam mit einer Dame zusammen und so blieb es auch bis Calais. Es hatte die ganze Nacht geregnet und in Calais sah es bedenklich aus. 1 1/2 Stunden mußte man auf das Schiff warten und als es endlich kam sahen die Passagiere arg aus, ich ging aber doch muthig aufs Schiff und suchte mir einen sehr guten Platz aus wo ich an der rechten Seite und Rücken eine Bretterwand hatte. Der Steward schlug mich in einen Gummimantel ein, gab mir eine
Fußbank und ich bereitete mich vor die Reise recht zu genießen. Da besetzte sich aber die Bank auf die ich eine Ecke hatte mit vier Herren die mir bedenklich aussahen. Die See war nun wirklich unsinnig und die Wellen kamen unausgesetzt auf Deck, es dauerte auch nicht lange so hörte man bedenkliche Laute und die Matrosen sprangen hülfreich, aber stets zu spät kommend herum. Der
Ausdruck auf den Gesichtern war entsetzlich und der allerschlimmste war mein nächster Nachbar zur linken. Gegen zwei Stunden hielt ich mich, aber dann sah ich nicht ein warum und da die Fahrt nahezu vier Stunden dauerte so hatte ich noch genügend Zeit recht übel zu sein. Mit zwei Stunden Verspätung trafen wir in London ein und bei Mrs. Oliverson war ich bald in andern Kleidern und
bemüht zu vergeßen. Aber noch in dem ich dies schreibe wird mir schwindlich. Gestern ging ich um 11 Uhr in die Probe und fand dort alles versammelt, faßte mir ein Herz und stellte mich dem Sir Arthur <Sullivan> vor worauf er mir sagte daß ich erst nach 2 Uhr dran käme, ging darauf zu Vert, wo ich Briefe vorfand, darunter eine Schülerin-Anfrage, besorgte mir die IX. Symphonie und ging wieder nach Hause, nach Tisch ging ich wieder in den Saal wo ich von 2 1/2 bis 4 1/2 wartete es wurde ein schreckliches neues Werk unter Leitung des Componisten probirt und dann kam der »Tannhäuser«. Mad<ame> Valeria die seit 11 Uhr früh im Saal war, markirte nur, Lloyd hingegen sang so herrlich daß
er Orchester, Sir Arthur und mich in Aufregung brachte und ich gleich Fühlung bekam mit dem Dirigenten und meine paar Noten hineinschmiß als wäre ich dies nicht anders gewöhnt. Als ich nach fünf nach Hause kam war ich so müde, daß ich gar nichts leisten konnte und sehr früh zu Bette ging.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: London
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s. 980/2-1
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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