23.01.2024

Briefe



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ID: 26124
Geschrieben am: Mittwoch 16.01.1889
 

16.1.1889, London
Alles verlief gut und glücklich. In Cöln waren Herr und Frau Deichmann am Zuge nahmen uns Beide mit nach Hause zum Nachtessen und brachten uns wieder an den Zug, Herr Deichmann reservirte ein Coupé für uns und wir langten sehr ausgeruht in Ostende an. Auf dem Schiff war es so bequem und still dass ich gar nicht denken kann wie man krank werden kann. Miß Wild ist ganz routinirt und obwohl sie sich etwas unwohl fühlte und gegen Mittag sehr still wurde, so war doch die Reise sehr angenehm. Dover ist wunderschön, ich war auf Deck als wir uns der Küste nahten.
Hier auf der Station war Linschen mit einem Neffen Frank von Mrs. O<liverson> und wir gingen mit allem Gepäck gleich <u>nderground und langten nach einigen Minuten fahrt hier an d.h. 5 Minuten zu gehen. Ich bin so gut aufgenommen hier wie man es nur träumen kann.
Nach dem Frühstück habe ich ein bischen geschlafen und soeben war Mr Shakespeare da und wir haben die »Zigeunerlieder« auf die Tempis hier durchgenommen. Er war sehr liebenswürdig und nett und will nun für Samstag oder Sonntag eine ordentliche Probe haben. Er sagt der Baß hätte es nie gesungen und Sir Charles wäre sehr bedenklich umgegangen, wir müßten also sehr zusammenhalten. Ich bin wie Du Dir leicht denken kannst noch ganz im Traum, hoffe aber recht bald zur Besinnung zu kommen. Ich bin aber ganz wohl und fühle gar keine Ermüdung. Der erste Eindruck von London ist überwältigend und man begreift nicht, wie man das je lernen soll. Aber ich fürchte mich nicht. Wie geht es Dir mein Genchen? Ich verstehe mich nicht und möchte daß es Dir auch so leicht wäre wie mir ist, seitdem ich den Frankfurter Bahnhof verlaßen habe. Ich war doch die letzten Tage so tief unglücklich und nun bin ich ganz frei und habe nicht mehr geweint oder mich traurig gefühlt. Das ist doch nicht Herzlosigkeit, mein liebes Genchen es ist ein Gefühl der Erlösung aus drückenden Verhältnißen und Du wirst es verstehen. Ich habe nun vor zu arbeiten und zu verdienen wo und wie ich es kann und dann später wenn ich Geld und eine Stellung habe, dann komme ich zu Dir zurück. Wenn ich Dich nur zufrieden wüßte, aber ich hoffe, daß meine Erlösung Dir auch Gutes bringt und Dir doch auch viel Unangenehmes erspart ist.
(...) Lebewohl mein Genchen, ich schreibe Dir bald wieder und sobald ich ein bischen geordnet, schreibe ich an Mama.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: London
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s.: 979/23-1
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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