23.01.2024

Briefe



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ID: 26069
Geschrieben am: Sonntag 27.10.1878
 

27.10.1878, Leipzig
So rasch wie das leuchten eines Blitzes war Dein Hiersein verflogen und schon bist Du wieder weit in einer ganz anderen Umgebung wie hier. Wie fandest Du Felix, wie hat er Deine Abwesenheit ertragen? Und Du! Hat Dich der Contrast nicht recht niedergedrückt? Liebes, starkes Genchen nur noch wenige Tage bist Du allein bei Felix; wenn ihr zu Hause seid so ist zwar der stete Kummer im
Hause, aber Du bist nicht allein bei den Aufregungen und Gefahren dieser Krankenpflege. Mir war der Gedanke immer unerträglich und ich dachte immer ich müßte zu Dir, um Dir beizustehen. Mama war so gut zu mir, und bot mir an vor London keine Wohnung zu nehmen in Frankfurt sondern sobald ich dorthin müßte, zu Euch zu kommen und da bis Januar zu bleiben, wie gut und freundlich ist dies von Mama ich habe es dankbarst angenommen und bleibe jetzt ganz ruhig hier bis ich einen Ruf bekomme. Lisl ist bereit, mich so lange zu behalten und ich hoffe und harre.
Bei Riedel gestern war es sehr komisch ich sang ihm einige Stücke aus dem Messias und dann fing er an mir unerhörte Complimente zu machen z.B. ich sänge die Partie schöner als er sie von der Lind gehört hätte u.s.w. endlich sagte er daß er wohl wüßte ich hätte ein hohes Honorar und doch müßte er mir sagen daß er den größten Künstlern mit Erfolg 150 Mark angeboten hätte, ich ging darauf nicht ein sondern sagte ihm mein Honorar sei 300 Mark. Er steht in Unterhandlung mit der Proska Schuch in Dresden und wirds mir also, sobald er mit dieser sich endgiltig besprochen hat Auskunft haben. Er ist hier als Filz bekannt und hat doch riesige Einnahmen bei seinen Concerten. Herzogenberg meinte er würde mich nicht loslaßen das glaube ich zwar nicht aber er bietet mir
vielleicht doch mehr. Es ist Kirchenconcert, und wäre am 22t. November. Gestern Abend war Härtel Soiré, Mittags war Mama und Marie bei uns zu Tisch es war sehr gemüthlich und still, unsere Kränze und Blumen waren noch frisch und freundlich und jeder war froh, daß nicht große Gesellschaft war. Abends war's anders, Mama und Marie meinten ich sollte mein Concertkleid anziehen, im letzten Augenblick war mir aber die Idee so unbehaglich, daß ich Lisl's Antrag ihr schwarzes Gazekleid anzuziehen annahm und als wir die Letzten zu Härtel kamen traf es sich daß meine Ahnung richtig war.
Die Gesellschaft war zwar unendlich zahlreich aber nicht so elegant wie bei Frege und äußerst langweilig, die Musik mit der man Mama quälte war unter jeder Kritik, ich habe nie so Quartettsspielen hören, und eine unglückliche Schaar von Knaben und Männern sangen gemischte Quartette wobei die Sopran und Altbuben den P. T Oktette wieder bedenkliche Dinge zumutheten, und die sangen dreimal. Ich sang auch mit Lisls Begleitung, die von der Hitze und Menschenmenge Beklemmungen bekam und mir nach den »stillen Thränen« kein weiteres Schumannlied begleiten wollte sondern Brahmslieder die nicht gut paßten, für dieses Publikum war aber alles gleich, es war eine unerträgliche Menge von herumstehenden Menschen die in den Nebenzimmern schwätzten,
so daß z.B. als Mama spielte die ersten Tacte des Stückes verloren gingen. Alle die kleinen Zimmerchen die da um das Musikzimmer herumliegen sind äußerst ungünstig für solche Gelegenheiten. Es war unwürdig und keine gelungene Art Mama zu feiern. Die Frau Härtel mißfällt mir sehr, ihre übertriebenen Complimente sind schwer zu verdauen. Tonchen war so eigen, daß jeder der nur drei Worte mit ihr sprach sehen konnte daß sie in dieser Gesellschaft sich nicht bewegen gelernt hat unter anderen albernen Bemerkungen über »die Musik vom Schwiegervater« rief sie sehr laut, als Ferdinand vom Buffet kommend, Bier brachte: »da kommt er mit dem elenden Bier! bring doch was gescheiteres!« Sie ist doch ein dummes Gänschen, und der arme Ferdinand hat eine schöne Zukunft mit verzogenen Kindern, und einer dummen Frau. Heute sind sie nach Berlin zurück. Mama reist morgen Früh und die Jubeltage sind zu Ende ein Katzenjammer wird schon nachkommen.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s.: 979/16-11
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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