23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 26012
Geschrieben am: Freitag 11.05.1877
 

11.5.1877, Leipzig
Dein Brief traf mich noch hier, erst Montag gehe ich nach Berlin zurück. Mama schrieb heute auch an Lisl daß sie ganz einverstanden ist mit Deiner Idee in Meran zu bleiben, Du hast meinen Brief inzwischen bekommen, nun sage mir nochmals Genchen fühlst Du Dich so unwohl und sagst es nicht die ganze Zeit daß Du den Aufenthalt in Berlin scheuest die Reise fürchtest oder ist es der natürliche Widerwillen um diese Jahreszeit in die langweilige Stadt zurückzukehren. Soll Marie ganz allein in Berlin bleiben? Ich verstehe Dich diesmal nicht mein Esi, Du hast Dir die Sache nur nach der praktischen Seite überlegt. Mama sehnt sich nach Dir, Marie ist still und wird immer strenger und ernster und wenn es nur 14 Tage sind die Du mit Mama zusammen bist ehe sie nach Kiel geht so sind die 14 Tage schon Grund genug für mein herrliches Genchen zurückzukommen und mit Marie dann auszuharren bis ihr wieder weiter zieht. Das ganze unruhige Wanderleben welches Mama fortwärend führt ist unrecht und die ewige Zerstückelung von Euch allen peinigt sie. Von mir rede ich nicht Du weißt zur Genüge daß ich auch jeden dummen Streich zu machen fähig bin wenn ich dadurch mit Dir zusammentreffen kann, ich sehne mich so nach Dir und bin so hungrig nach Deiner Nähe daß ich nur den Zeitpunkt in's Auge faße der mich mit Dir wieder vereint. Das Geld habe ich um zu Dir zu kommen aber ich fände es unrecht und Mama die uns dies schwer verzeihen würde, würde mir dies Unrecht hoch anrechnen. Aber auch diese Furcht würde mich nicht hindern mein Conto bei Mama so zu belasten, aber Dir mag ich dies nicht zumuthen, wenn ich heute bei Dir eintreffe so wäre dies unrecht, ein Unrecht welches uns alle beide belasten müßte, Mama gegenüber ganz unmöglich. Lisl die ich wiederholt fragte ist ganz meiner Ansicht, sie sagte wir dürfen uns nicht so nachgeben. Sie hat leicht reden, aber wenn sie es sagt so werden andere Leute noch viel mehr sagen. Doch die Leute gehen uns nichts an, nicht war mein Genchen wenn ich Dir sage ich will nicht, daß Du egoistisch erscheinst, dazu bist Du mir zu gut, ich will auch nicht daß Mama so von uns beiden denkt so verstehst Du mich und sagst nicht wieder »Treulose!« Es gäbe für mich kein größeres Glück als gerade in Meran mit Dir sein zu können in schöner Natur mit Dir zu schwelgen. Aber so darf ich es nicht. Ich sage auch nicht aus Eigenliebe; komm jetzt zurück zu mir, wenn ich es auch ganz leise hoffe, ich will es nicht sagen, aber komme zurück zu Mama zu Marie, bringe frische Heiterkeit mit her, vielleicht veranlaßt Du Marie mit Dir fort zu gehen wärend der Kieler Zeit, nach Baden wo sie gern ist oder geht mit nach Kiel von mir darf dann nur in dritter Linie die Rede sein. Bist Du mir böse mein liebes Genchen? Glaubst Du ich hätte Dich weniger lieb, weil ich so vernünftig bin? Könntest Du an mir zweifeln. Ich will nicht von mir sprechen Genchen und wenn es wieder November wird und Du Dich mir ganz entfremdet hast so will ich mir jetzt fest vornehmen es durchzumachen noch längere Zeit nicht zu leben. Keine Freude zu haben am Dasein, denn Deine Liebe hat mir erst gezeigt was leben heißt. Ich bin sehr traurig will es aber überwinden. Schreibe sofort ob Du mich so verstanden hast wie ich es wünsche.
Der trouble bei H's ist wieder ganz großartig. Bitte um Antwort um sofortige.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s.: 979/10-13
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.