23.01.2024

Briefe



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ID: 25957
Geschrieben am: Mittwoch 14.06.1876
 

Da liegt Dein Brief, Dein Brief der mir so viel Schmerzen machen konnte, ich habe sie aber tapfer getragen und überlege was nun, wenn auch Du mir abredest eine Laufbahn zu verfolgen die mich schon so oft glücklich und recht oft unglücklich gemacht hat; dann muß ich ausführlich werden. Erstens es ist ganz meine Meinung wenn Du sagst daß ein bestimmter Mißerfolg mich nicht
bestimmen soll. es war aber kein Mißerfolg ich habe Dir nur, von meiner Verstimmung aus betrachtet die Sache geschildert, aber auch die nehme ich nicht zurück ich habe mich von jener Stimmung beherrschen laßen und trage selbst die Schuld. Also der Erfolg des ganzen Jahres, soll mich der ermuthigen? Nein, ich weiß diesen ganzen Winter kein Concert welches mir nicht irgend Bedenken
gemacht, aber ich laße es nicht, ich will, ich muß. Mein liebes Genchen ich kann und werde auch. Ich würde nicht aus Opositionslust darauf bestehen, wenn ich Dir aber sage daß mir jede halbwegs gute Aufführung wärend derselben große Freude macht, daß es mir Freude macht ein Stück zu singen und daß ich es mir gar nicht anders denken kann. Brahms Urtheil ist hart und macht mich künftig nur noch mehr befangen. Energie! ich habe soviel um nach zwei und dreimaliger Lesung Deines Briefes noch nicht den Muth zu verlieren, aber er thut so weh dieser Brief. Du schreibst, »gieb es auf« als hätte ich aus nobler Passion concertirt. Mein Genchen Du kennst ja meine ganze Lage, auch leide ich nicht an Selbstüberschätzung, wohl aber an Mangel an Selbstvertrauen. Bitte sage daß Du zu hart gewesen ich kann es nicht ertragen wenn wieder mein Fleiß nachlaßen sollte, will ich Deinen Brief wieder lesen.
den 15. Juni
So weit kam ich gestern, ich konnte nicht weiter schreiben weil ich nicht ruhig werden konnte. Wie soll ich Dir nun zeigen daß ich allen Willen habe nochmals anzufangen und daß ich das was Du gesagt glaube so hart es auch ist, aber mein Genchen! wirst auch Du nicht die Geduld mit mir verlieren wirst Du mir helfen und meinen Muth beleben oder hat Brahms Ausspruch sich Dir unauslöschlich eingegraben und Du denkst »wäre sie lieber Köchin geworden«. Dieses Gespenst stieg mir aus Deinem Brief entgegen und jagte mir entsetzlichen Schrecken ein, bitte, bitte verlaße Du mich nicht, ich kann Dir Alles opfern, für Dich Jedes thun, wenn Du mich aber verläßt bin ich verloren, ich
will und werde arbeiten und Dir berichten, glaube mir und vertraue mir noch einmal. Heute gehen wir fort von hier und Sonntag sind wir in Wien, laß mich da einen Brief finden die zwei Tage bis dort bin ich tod. Ach mein liebes Genchen erwecke mich wieder laß mich nicht so namenlos unglücklich wie ich jetzt bin.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: Scheveningen
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s.: 979/5-15
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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