23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 25956
Geschrieben am: Montag 12.06.1876
 

Das Musikfest ist vorüber nun ich fühle mich danach recht unglücklich und elend, gestern brauchte es Stunden bis ich zur Ruhe kommen konnte, so unbefriedigt war ich und so ängstigte ich mich vor den nächsten Monaten. Dein Brief kam mir in die Hände kurz vor dem Concerte und ich las ihn dort im
Künstlerzimmer, wärend man Deines Vaters Sympfonie spielte immer wieder durch, dann ging ich und sang meine Arie gut und frei war sehr gut disponirt und wüßte keinen Fehler anzugeben. Der König war da und das Publikum applaudirte sehr hofmäßig, der König ging als die Verhulst gespielt hatte und das Publikum tobte und und verlangte Wiederholungen von Assmann und Henschel, die Stimmung kam überhaupt erst im zweiten Theil wo ich nicht beschäftigt war und so mußte ich die tollen Äusserungen von Freude der Anderen ansehen u.s.w. Neid kann ich mir da nicht vorwerfen Genchen, aber ich fühlte daß glänzende Triumpfe für mich überhaupt nicht existiren, da man solche muß hervorrufen können, die wußten alle daß sie wiederholen würden und theilten sich die Verbeugungen weise ein um durch dreimaliges vorhüpfen in möglichst kurzer Zeit die Wiederholung dringend zu machen. Das konnte ich sehr gut sehen aber ich kann es nicht nachmachen. Und wie solche gemeine Künstler sich gemein äußern sah ich auch und wurde immer mürrischer und übellauniger. Mein liebes Genchen hätte ich Dich nur immer bei mir ich wäre immer gut gelaunt. Mein Vater quält mich auf alle Art und bin ich seine Methode zu sehr entwöhnt um sie stillschweigend ertragen zu können, vor und nach jedem Concerte sagt er mir die unfreundlichsten Dinge. Ich mag nicht bleiben hier und bin morgen bereit abzureisen und raste nicht bis ich auch von
Wien fort an irgendeinem friedlichen Punkte bin. Man hat uns ohne weitere Bemerkung 500 Gulden gegeben also das Minimum, ich habe nicht Lust wieder zu krakelen und werde still preussisches Geld kaufen und Dir senden so viel ich nur entbehren kann, den Sommer sehr sparen und mich nach dem Oktober krank sehnen. Lauter bittere Lectionen aber hoffentlich nützlich. Mein Genchen verlasse mich nicht und mache mir ein bischen Muth, ich fürchte mich so vor meinem Daheim freue mich auf gar nichts da und möchte die vier Monate schlafen können. Henschel machte mir gestern und heute Besuche und wir waren äusserst artig und steif Beide. Du sagst ich sollte Dir beichten wenn ich
gefehlt, die Jole ging trotz dem niederträchtigsten Dirigenten den man sich denken kann gut und die letzte Arie selbst frei denn da konnte ich den Kerl im Tempo halten. Die Messe von Verhulst ging im Solo brillant nur in den beiden Schlüssen des ersten und letzten Satzes war durch das immer rasendere Tempo Unordnung gekommen und Mißtöne die ich auch mir zur Last lege die Gesangsstellen brachte ich aber sehr gut zur Geltung und hätte ich das Werk besser gekonnt so wäre das Getöße auch gut gegangen. Verhülst war aber so groß daß man dies besser vergißt. Die Neunte war tadellos und die Cadenz sangen wir ausgezeichnet.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: Haag
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn, s.: 979/5-13
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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