23.01.2024

Briefe



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ID: 25926
Geschrieben am: Dienstag 06.07.1875
 

Dein Brief ist am 4t Mittags abgegangen und am 6t Früh hier angekommen also zwei Tage muß man für einen Brief aus Kiel rechnen, liebster Schatz weißt Du, daß wir 120 deutsche Meilen von einander entfernt sind, ich habe es neulich mit meinen Brüdern ausgerechnet, 120 Eisenbahnmeilen, die Luftlinie ist jedoch kürzer und beträgt 110 Meilen. Dein lieber Brief enthält eine Menge süßer Dinge für mein etwas bitteres Dasein und ich danke Dir dafür. Denke Dir ich bin so weit gekommen daß ich Neid fühlen gelernt, ich komme mit ein paar Colleginen vom Wiener Conservatorium zusammen die zur Bühne sind und die haben so bedeutende Erfolge in ihrem Selbstbewußtsein und ihrer Selbständigkeit errungen und betrachten meine 12 Concerte als Kinderspiel. Doch dies sind Eseleien was mich quält sind die Zustände zu Hause, Vater ist seit geraumer Zeit krank und sorgt sich auf eine seiner Wiederherstellung sehr schädliche Weise um die Zukunft seiner vier jüngsten Kinder, und diese Sorge lastet nun bereits auf Allen, all der frohe Muth den ich vor acht Tagen nach Hause gebracht habe ist dahingegeben und hat die Last nicht erleichtert. Wenn nun der arme Vater nicht genug hat mit seinen unnötigen Sorgen, dann wühlt er in meinen Angelegenheiten mit Schulze und Marchesi und findet nun auch meine Zukunft Besorgnis erregend, er war eben heute im besten Zuge als Dein Brief ankam ich las ihm daher die Stelle daraus über das Kieler Musikfest vor und er beendete seine peinliche Unterredung mit dem Zugeständniß, daß ich einen sehr schwierigen Weg zu gehen hätte. Bei dieser Sucht schwarz zu sehen war diese Äußerung schon Sonnenschein. Du wirst mir glauben daß ich oft in mein Zimmer laufe um ein paar freie Athemzüge zu thuen ich kann einen solchen Druck nicht lange aushalten es macht mir körperlich Schmerzen gegen die ich mich geistig auflehne. Es soll mit jedem Tag eine Aenderung eintreten, Vater soll mit Mutter oder einer von uns in ein Hochgebirgsthal gehen, er ist aber über Ort und Zeit so unentschloßen, daß ein Tag nach dem andern vergeht und wir immer hier bleiben. O Geduld verlaß mich nicht! Dies klingt so feig und mein Muth muß den Klang erst erkennen, dann wird er sich seines Lebens schon wehren. Verzeih daß ich Dich auf meinen ersten Brief hab so lange warten laßen, ich fühle seit dem ersten Tag hier jene Lähmung meines Denkens und wollte Dir dies erst verbergen, aber ich kann es nicht und ein bischen Lamento Dir gegenüber muß ich anbringen. Du schreibst daß Du Dich nicht wohl fühlest, was fehlt Dir? Kannst Du nicht schlafen? O könnte ich Dich einschläfern, mein süsses Genchen, ich würde nicht müde werden. Schwarze Gedanken stehen Dir nicht, gar nicht denke bitte nur rosige. Wenn Du wieder schwarze Gedanken haben solltest so schreibe sie mir auf, schon dieses hilft und wenn ich sie dann erst bekämpfe, so werden wir ihrer Herr.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn,s.979/3-2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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