23.01.2024

Briefe



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ID: 25925
Geschrieben am: Donnerstag 01.07.1875
 

Ich muß am ersten Abende zu Hause, wenigstens anfangen mit Dir zu plaudern weil mir sonst etwas fehlte und es darf mir doch heute nichts fehlen. Die Reise hierher trat ich gestern Abend 8 Uhr, unter sehr fatalen Umständen an, der überfüllte Zug hat mir nur einen Platz in einen Coupé mit drei Herren welche ausser der hübschen Einrichtung des Rauchens auch andere fatale Eigenschaften hatten, dumme Bengel welche nicht glauben wollten, daß ich nicht endlich doch an ihrer Unterhaltung theilnehmen würde. In Dresden stieg ich um und fuhr endlich von Aussig aus allein bis Brünn wo mich Bruder Hanns erwartete, eine Viertelstunde vor Wien kam auch Thächen in den Wagen und so ging es bei 32 Grad Hitze nach Hause. Vater ist krank und d.h. ein bischen leidend, Mutter ist verreist, meine Schwester Sefin so dick geworden, daß ich neben ihr eine schlanke Pinie bin.
den 3. Juli
(...) Es ist mein Leben hier zu Hause so verschieden von meinem Leben in der Fremde und ich mache immer eine förmliche Wandlung mit so daß Du mich kaum wiedererkennen würdest. Meine Leute sind eine auserwählte Gesellschaft von Phlegmatikern, im Grunde langweilig, aber mir doch sehr intereßant - Eben durch meine lange Abwesenheit höre ich mitunter Äußerungen die sie wohl das
ganze Jahr nicht riskiren. Meine Erlebniße würden sie mir gewiß nicht abfragen, das wäre Neugierde, aber wenn ich selbst anfange zu erzählen so lauschen sie mit gespannter Aufmerksamkeit. Siehst du mein liebstes Genchen, daß das eigentlich Conflicte erzeugt. Denn um Meinerseits nicht den Schein der Renomage auf mich zu leiten, kann ich all das Schöne was ich erlebt und gesehen nur mit dürren Worten andeuten und komme mir dann selbst ungenügsam und blasirt vor. Ergo laße ich Alles hinter mir und vergrabe mich wieder in das alte längst verlaßene Neste, ich koche, nähe, flicke, balge mich, (mit Hans und Minn) mit den Brüdern und gehe auf im Elemente des Vaterhauses und habe auch schon in den ersten 24 Stunden die Ausnahmestellung überwunden. Ich trete als zweite Hilfsmachine meiner Schwester an die Seite und der Karren geht nicht um ein Atom rascher. Im Laufe der nächsten Woche gehe ich zu meiner Schwester nach Stadt Steyr um da recht tüchtig Natur zu kneipen.
(...) Das Musikfest war also über Erwarten gut, das freut mich sehr, hat Mama die Anstrengung und Hitze ohne Nachtheil ertragen? Es freut mich daß Du über Münster ganz so denkst wie ich, ja wenn es gleich gewesen wäre und ich hätte mit reicher Ausbeute für die Meinen um 14 Tage später nach Hause kommen können, dann hätte ich es nicht gelaßen, aber so ist es viel besser für mich zu Hause. Mein liebes Genchen! Wie Ironie darf Dir meine Bitte um Treue nicht klingen es ist die Sorge die man sich gerne macht, die man gerne äußert um wiederlegt zu werden. Du bist mein zweiter Gedanke, alles was mir auch begegnet stelle ich Dir im Geiste vor Augen und lege mir Deine Ansicht zurecht, dabei möchte mich die Sehnsucht oft verzehren und wenn ich auch nur hören dürfte: Fillu ich mag dich gar nicht, geh weg! so wäre ich schon glücklich. Die drei Monate werden auch verfliegen und du wirst wieder einen armen Teufel glücklich machen, dafür verschreibt er Dir seine Seele.
Nun will ich Dir meine Brüder vorstellen: Hanns 27 Jahre, Pedant, Elegant, sehr gefällig dabei aber meist unbequem. Thächen (Matthäus) 23 Jahre, guter Kopf, streng aber vielseitig, gegenwärtig in einem unliebenswürdigen Stadium. Gustel (August) 19 Jahre, der Flegel wie er im Buche steht aber trotzdem ein sehr guter Junge, braver Student, man muß ihm nur aus dem Wege gehen den<n> er tritt einen gelegentlich auf die Füße. Charletto (Karl) 17 Jahre, der beste von der ganzen Sorte ist aber so gewachsen in dem Jahre, daß ich beinahe Respect vor ihm habe sehr guter Student und Mensch mit Herz und Kopf. Franzl 15 Jahre, enfant terrible, obwohl eigentlich schon aus dieser Rolle herausgewachsen, von Karl hat er die Gefälligkeit, aber er hat einen sehr kecken Schnabel und wird für seine kühnen Reden meist derb zurechtgewiesen und das macht ihn schon von vornherein lärmend. In Mitten dieser Bande steht meine Schwester Sefin und steuert das Staatsschiff mit strenger Unerbittlichkeit, ohne sich von den Buben auch nur zu dem kleinsten Exceß verleiten zu laßen. Die Buben sind der größere Theil dem Hause längst entwachsen und es wundert mich daß noch keiner über Bord gefallen.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn,s.979/3-1
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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