23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 25913
Geschrieben am: Mittwoch 09.06.1875
 

Wärend ich dies schreibe langst Du eben in Kiel an und hast die Reise wie ich hoffe recht gut überstanden, es war recht kalt die Nacht, hast Du Dich auch nicht erkältet? Den Schlüssel habe ich diesen Morgen besorgt. der Brief an die Breiderhoff lag im Courier, Deine Handschuhe auf meinem Tisch, und ich bin ganz Faßungslos, ich kann nicht arbeiten, nicht singen, bin wie ein Kind, ich möchte nach Hause und nur nach Hause Berlin ist mir ein Gräuel wenn Du nicht hier bist, und die Zeit schleicht hier, zu Hause vergeht sie schneller. Die nächsten Wochen sind mir undenkbar heute noch; ich bin es Dir jedoch schuldig meiner Stimmung Herr zu werden und will gewiß arbeiten bis zu dem Tage der Erlösung, ich muß nur die ersten Tage überwunden haben. Ich ärgere mich über Jeden der den Gang zu meiner Thür hier geht denn ich weiß ja, daß Du nicht klopfen wirst, mein liebes Genchen! Ist das ein Katzenjammer! ich jammere ihn ohne Rückhalt (…) wenn ich eine weinerliche Natur wäre so würde ich Bäche weinen, so sehe ich entsetzlich grantig aus und bin in der schrecklichsten Stimmung. Die Seeber übt ein Lied ohne Worte mit andauerndem Pedale, die Fuchsia dagegen wird ganz rosig in zwei Tagen sind die ersten Blüthen offen. Pfui! es ist nun mir sehr egoistisch Dir solches vorzusingen, Stimmungen laße ich doch im gewöhnlichen Leben nicht gelten und wenn Du fort gehst sollten sie mich auch nicht übermannen, aber ich bin weich und schwach geworden. Du warst viel, viel zu gut für mich.
Wie hast Du Mama angetroffen? Ich bin Deiner hochverehrten Mutter so viel Dank schuldig für alle die Güte die sie dieses ganze Jahr für mich gehabt hat. Den Dank den man schuldet kann man nicht wie eine Schuld abtragen, man muß sich nur immer und immer wieder dazu bekennen das thue ich unausgesetzt und sehe dabei immer deutlicher wie schwach und unfähig ich bin meine Dankbarkeit in irgend einer Handlung zu beweisen. ich habe immer den Wunsch für Deine Mutter einmal eine schwere, grobe Arbeit thuen zu können, ihr durch Dienstleistung meine Ergebenheit zu zeigen, verstehst Du mich? Ich fühle jedoch den Schein von Undankbarkeit auf mir lasten, sei mein Anwalt Genchen und sage Deiner Mutter, daß die grenzenloseste Befangenheit, entspringend aus dem Erkennen deßen was Clara Schumann ist, mir die albernsten Fehler begehen läßt und so jenen Schein auf mich wirft.

  Absender: Fillunger, Marie (2260)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Schumann, Eugenie (1440)
  Empfangsort:

  Standort/Quelle:*) A-Wn,s.979/2-1
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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