23.01.2024

Briefe



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ID: 25856
Geschrieben am: Donnerstag 13.11.1879
 

Nov. 79
Liebste Clara,
Die Menschen sind nicht alle von purem Golde. Es ist das sogar sehr selten aber Du erschrickst noch jedesmal u. wunderst Dich, wenn Du es erfährst oder zu erfahren glaubst. Diesmal darf es vielleicht bei Letzterm bleiben u. Raffs Vergoldung die Probe aushalten.
Die Sache selbst sehe ich natürlich durchaus wie Du selbst an u. an Deiner ┌Stelle┐ würde ich sie unter allen Umständen u. sofort in Ordnung gebracht wißen wollen, ohne Aufschub, der ja für das arme Mädchen viel bedeutet.
Aber von Raff würde ich einstweilen nicht das Schlimmste denken, ich würde blos ein ? zu seinem Namen machen.
Vielleicht findest Du plausibel was mir so durch den <Koft> Kopf ging u. was ich hier kurz andeute.
|2| R. hat eine recht complicirte Stellung, er hat gar vielerlei zu berücksichtigen, die verschiedensten Bitten u. Ansprüche drängen sich an ihn u. er muß wohl viel vermitteln, von einander schieben u. s. w.
Nun kann ich mir denken daß er Dir gegenüber diesmal u. vielleicht öfter in ähnlichen Fällen in Versuchung kommt, Dich ein wenig (u. im Geheimen) bevormunden zu wollen.
Mit aller Verehrung für Dich, ja vielleicht mit aller Sympathie für Dein schönes humanes Wesen, meint er als Direktor hier das Recht zu haben, ein wenig zurück zu halten, hinter Deinem Rücken dafür zu sorgen daß es nicht zu weit gehe u. s. w.
Im Interesse seiner Anstalt zunächst, übergiebt er Dir vielleicht auch gern die vornehmeren Schüler. Freischüler möchte er nicht gleich u. nicht zu sehr verwöhnen u. s. w. Ich könnte noch manches u. s. w. schreiben, doch stimmst Du vielleicht einstweilen schon bei daß sein Betragen, wenn auch nicht human u. nicht offen, doch möglicherweise nachträglich zu entschuldigen sein kann.
|3| An Deiner Stelle schriebe ich also an R. sehr ernsthaft aber höflich:
daß er, die Sache u. Dein Interesse dran kennend, sich nicht wundern würde wenn sie für Dich nicht abgeschloßen sei. Durch Dein früheres Versprechen Dich verpflichtet fühlend, habest Du die Mutter zur Aufklärung veranlaßt. Deren sehr diskrete Mittheilungen haben Dir nicht genügen können aber gewiß auch nicht beruhigen. Du nähmest gerne an daß er seine besonderen u. auch triftige Gründe gehabt habe, so zu handeln wie er gethan. Du aber habest, namentlich auf sein freundlich zustimmendes Versprechen hin, das Mädchen zur Reise veranlaßt u. so lieb es Dir auch wäre, seine etwaigen Gründe anerkennen zu dürfen: auf Deinen Entschluß könnten sie keinen Einfluß haben u. dieser, Dein Entschluß könne nur sein: das Mädchen sofort selbst zu unterrichten. Er möge also jedenfalls hierüber Dich umgehend beruhigen, Du würdest unter keinen Umständen davon |4| abgehen u. es würde Dir sogar schwer jetzt so ruhig über eine Angelegenheit zu schreiben die Dich gar sehr u. unangenehm aufrege. Keinenfalls möchtest Du in die Lage kommen, irgend welche, von seinem Standpunkte aus noch so berechtigte Einwendungen erwiedern zu müßen.
Das wäre für Dich zu spät u. so weit die Sache Dich anginge, wäre sie einfach u. nur auf die eine Weise zu erledigen.
Weiter u. s. w. u. ad lib.
Ich denke mir, Du kriegst einen sehr höflichen Brief, daß er die Sache gar nicht so wichtig genommen habe, nur dem Mädchen nicht gleich Omelettes aux confitures geben wollen etc.
Nebenbei sage ich nur noch daß mir der Brief der Frau Fromme ungemein gefällt u. daß das eine prächtige, gute u. tüchtige Frau sein muß.
Es ist vielleicht zu spät um Heute Abend noch den Brief zu recommandiren u. ich will Dich nicht gern warten laßen.
Grüße allerlei Leute dort, Deine Wirthe. Meine Wirthe (bei denen ich leider, wie ich fürchte, – na, u. s. w.[)]
Theile mir ja mit einem Wort das Resultat mit!
Von Herzen u. ganz Dein
Johannes.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1549ff.

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. Schumann, K. 7,180
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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