Basel 8 Juni 1862.
Liebe Frau Schumann!
Noch ehe wir Ihren lieben Brief vom 18 Mai von Berlin aus erhielten, verfolgten wir mit wahrer Freude in den Signalen Ihr Auftreten u Ihre schönen Erfolge in Paris, welche uns auch von [be]geisterten Zuhörern mündlich bestätigt wurden.
Es war uns als nähmen wir mit theil an diesen Célébrations im Saal Erard, wo diese unvergleichlichen Flügel so schön klingen, & es gereicht uns immer zu doppelter Befriedigung zu sehen daß auch in der blasierten Weltstadt das wahrhaft Schöne eben doch zum Durchbruch dringt[?]; wir fühlen uns dahin gestärkt[?] [au]ch hier den Weg unverrückt fort[zug]ehen◊1, den wir einmal eingeschlagen haben, & uns nicht einschüchtern zu lassen durch Coterien, achselzuckende Bemerkungen über Kunstschwärmerei u dergl.
Ja wohl hat uns Stockhausen wieder einmal entzückt im Elias & da er bei uns wohnte (Sie berechneten es prächtig ihm in jener Zeit einen Brief & das ManfredPaquet zukommen zu lassen) so combinierten wir auch gleich einen Plan mit ihm auf sein elterliches Landgut Tannenfels beim Sempachersee auszufliegen, |2| was sehr hübsch war. Kirchner war gerade um jene Zeit bei seinem Bruder im Elsaß[?] & kam erst später in Basel vorbei. Er verspart sein Wiedersehen mit Ihnen, worauf er sich stets sehr freut, auf Ihren längern Schweizeraufenthalt. Und wir speculieren so halb darauf Sie mit einander auf unserm Landsitz einige Zeit beherbergen zu dürfen, da Sie so freundlich sind, uns diese Freude in Aussicht zu stellen.
Das Gut meines Schwiegervaters heißt Schloß Bipp – ursprüngl Castrum Pipini, ein Jagdschloß Pipins des Kurzen, der Vater v. Carl d. Großen. Nachher war es fast 4 Jahrhunderte lang Sitz eines Landvogts von Bern & ca 1798 wurde es in [der] alles zerstörenden Revolution verbrannt. Ein alter Thurm und einige von Epheu umrankte Mauern sind allein noch übrig geblieben von der alten Wohnung der Großen. Seit das Gut mit Wiesen & Wäldern nun im Besitz meines l. Schwiegervaters ist, hat dieser ein Schlößchen in neuem luftigen Styl angebaut[?] mit großem Musiksaal & unter Benützung einer alten Terasse wo noch von der Landvögte Zeiten her hundertjährige Kastanien stehen welche kühle Schatten verbreiten. Etwas weiter unten steht die Pächterwohnung & ein kleines Berner-|3|häuschen oder Stöckli (wie es die Leute heißen) & in diesem Stöckli haben wir, d. h. meine eigene Familie ihre Sommer-Wohnung aufgeschlagen & dort bieten wir Ihnen, wenn Sie es mit Ihrer l. Frl. Tochter annehmen mögen, ein bescheidenes Quartier an. Daß wir stets in regem Verkehr mit dem Schloß sind, uns aber wieder zurückziehen können, wenn wir mögen, versteht sich von selbst & dieses ungenierte Doppelle-ben wird Ihnen, hoffentlich, auch nicht unangenehm sein. Wenn Sie noch nie vom Jura aus den Anblick der Schweizeralpen genossen haben, so wird Sie vielleicht derjenige den wir von Schloß, Stöckli oder Ruine[?] in einer Ausdehnung von 30 bis 40 Stunden genießen <vielleicht> einigermaßen überraschen. Hätten wir auch wie vom Rigi aus den 4waldstädter¬see zu Füßen statt eines schmalen Streifchens Aare als einziges Wasser in der Landschaft, so wäre diese Aussicht ideal zu nennen. Doch hier heißt es „komme und siehe“ – vielleicht daß Sie doch Freude daran haben.
Schon aber kommt die große Frage: „wann?“ Sie gedenken ca Mitte Juli die Schweiz zu betreten. Da wäre unser Stöckli fast bis unter die Hohlziegel von Gästen angefüllt, welche mit Ende der Ferien, ca Mitte August wieder abziehen. Ich aber würde mit denselben weggehen & bloß meine l. Frau mit den jüngern Kindern |4| droben lassen, da ich alsdann meinen Associé im Geschäft für 3–4 Wochen Vacanz lassen muß. Erst etwa in der ersten Hälfte (ca gegen Mitte) September würde ich wieder frei & fände auch unsre Wohnung zur Aufnahme neuer lieber Gäste bereit. Könnten wir dann noch auf einen Besuch von Ihnen von einiger Dauer hoffen? Wir würden dann jedenfalls auch mit Kirchner entsprechende Abrede treffen, für ein paar Tage etwa auch mit Stockhausen oder wenn Sie uns irgendwie sonstige Gäste, Brahms, Joachim oder dergl. mithochziehen[?] könnten, das wäre prächtig. Zu Ihrer Richtschnur möge dienen daß man von Luzern bis Herzogenbuchsee in allem 3 bis 4 Stunden mit der Eisenbahn fährt, & daß sobald wir die Ankunft von Schloßgästen wissen wir solche von Herzogenbuchsee in 1 bis 1 1/2 Stunden per Wagen nach Bipp können abholen lassen. Sie sehen also, daß wir nicht ab der Welt wohnen. Von Olten aus können wir in 2 1/2 Stunden an Ort & Stelle sein. Mögen Sie nur uns mit ein paar Worte ┌an uns.[?] hiesige Adresse┐ melden ob Sie glauben uns einige Zeit widmen zu können & wann. Es wäre doch schade wenn der Besuch nur gar zu flüchtig ausfiele. Denn wir haben herrliche Punkte zum Ausfliegen in den [B]ergen[,] & nach dem hohen [Ri]gi wäre ein etwas niedrigerer Bergrücken ein schöner Übergang ins Stadtleben. Meine sehr musikalische Schwiegermutter & besonders meine l. Frau freuen sich gar sehr auf Ihren l. Besuch & wenn wirs irgend machen können, Ihren Aufenthalt bei uns ganz nach Ihren Wünschen einzurichten, so thun wir es mit größtem Vergnügen. Leider aber ist meine Zeit vom 18 August bis etwa Mitte Septb. so ziemlich sicher für die Stadt reserviert, da allerlei amtliche Functionen meinem Associé die Vacanzzeit sehr genau vorschreiben.
Mit dem Wunsch daß Ihnen & Ihrem w. Fräulein Tochter die Cur in Creuznach wohl bekommen möge, schließe ich mit herzlichsten Grüßen, auch von meiner l. Frau, welche in ihrem beiliegenden Brief an Frl. Elise noch eigenhändige beifügt, als Ihr aufrichtig Ergebenster
F. Riggenbach Stehlin