23.01.2024

Briefe



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ID: 23405
Geschrieben am: Montag 19.03.1894
 

Frankfurt a./M., den 19. März 1894.
Lieber Johannes,
wie lange stehe ich in Deiner Schuld auf so lieben Brief, wie der letzte war, aber es kam so vieles, jeder Tag bringt Unerwartetes, da verschiebt man dann immer das Nächstliegende. Ich wollte Dir nun aber auch gern etwas über etwaige Frühlingsfahrt schreiben, was ich immer nicht konnte. Ich bin doch auch immer so viel leidend, daß mir der Mut an „Reiseplänemachen“ gebricht. Meine Oster-Erholung wird sich nun wohl schließlich auf einen 8–14tägigen Besuch in Düsseldorf beschränken. Ich wäre schon gern nach Pallanza oder Comer See [gefahren], aber diese Reisen sind doch für uns Frauen immer gar zu kostspielig, und da wir im Juni nach Interlaken gehen, so würden wir dann die halbe Reise doch zweimal machen. Wir haben jetzt so viele Familienkonflikte, daß ich davon auch ganz kaputt bin. Der Ferdinand kommt nun nach 3jähriger Apotheker-Lehrzeit zu uns – um Musik zu studieren – einen Versuch wollen wir doch machen, aber 3 Jahre Zeit verloren, wie bitter ist das! Dazu handeln wir, Marie und ich, ganz gegen den Willen des Vormunds und Eugeniens. Der Junge hat aber durchaus keine praktischen Anlagen, ist im Geschäft untauglich, denkt überhaupt nur an Musik, und sagt, er will lieber die kleinste Musiker-Stellung haben, als in der Apotheke zeitlebens bleiben. Welche Kämpfe hat es aber gekostet, welche Szenen sind vorausgegangen, ehe es nun so weit kommt! –
Der arme Stockhausen tut mir doch furchtbar leid, die Operation kann aber immer noch nicht stattfinden, weil er immer Augenentzündungen hat. Der Tod Gretchens hat das wohl größtenteils hervorgebracht, er hatte so viel geweint. Nun kann er gar nichts tun, das ist schrecklich, wie langsam geht da so ein Tag hin! –
Die Scholzsche Geschichte nimmt auch gar kein Ende! . . . . Was die arme Frau aushält, ist nicht zu beschreiben, . . . . sie beweist aber eine bewunderungswürdige Energie. Wir alle nehmen uns ihrer an, so viel es geht.
Wie wird nun wohl Dein Sommer werden? Wieder Ischl? Vor einigen Tagen besuchte uns Woldemar, der nach Italien ging, um sich dort von der Influenza zu erholen. Von Musik kann ich Dir nichts sagen, habe nichts gehört, weniges nur bedauert, nicht zu hören.
Frau Joachim gab mit Mariechen 2 Konzerte, aber sie waren wenig besucht, und Mariechen wollte nicht gefallen – es scheint, sie hat sich ihre Höhe mit Wagner sehr verdorben!
Nun wünsche ich Dir recht gemütliche Feiertage – grüße Fellingers, mit denen Du sie wohl verleben wirst!? –
Laß bald wieder von Dir hören
Deine alte Clara.
. . . .
[Umschlag]
Herrn
Dr Johannes Brahms.
Wien IV.
4 Karlsgasse.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
2172ff.

  Standort/Quelle:*) Umschlag: A-Wst: 55746,49a
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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