23.01.2024

Briefe



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ID: 23386
Geschrieben am: Sonntag 06.11.1892
 

Frankfurt a./M., den 6. November 1892.
Lieber Johannes,
ich darf also doch nach Deinem letzten Schreiben annehmen, daß Du die Anhang-Angelegenheit übernehmen willst, und danke Dir im voraus für die Bemühungen, denen Du Dich damit unterziehst. Ich habe alles herausgesucht, glaube nun aber doch kaum, daß wir noch anderes finden werden, als die zwei Lieder, wovon das 2. doch fast gar zu klein ist? Ich habe das ganze Heft durchgesehen, finde aber doch außer den zweien keines, das man veröffentlichen sollte! Sie sind zum Teil doch wie von einem talentvollen Kinde und da ist’s doch besser, man läßt sie nicht drucken. Aber die zweie hätten das Interesse, daß er sie später zu den Sonaten benutzt hat, sie ihm tiefer in der Seele lagen. Du hast sie Dir früher ’mal abgeschrieben und könntest sie nach Deiner Kopie abschreiben lassen. Ich schicke dann das Buch nicht erst, aber die Variationen mit allem dazu Gehörigen würde ich Dir senden, denn wir haben zwar einige Male nach den Stimmen gespielt, aber wirklich von einem Sachverständigen, Musiker, sind sie nicht revidiert, und wenn es auch wäre, Du siehst sie doch mit anderen Augen als alle die anderen. Ein Duett aber kenne ich gar nicht und will es mir kommen lassen. In vielen Skizzenbänden habe ich noch nachgesehen, da stehen aber nur Anfänge von gedruckten Sachen, auch ungedruckten, aber keine Stücke. Es würde sich also handeln um die 3 Stücke (von Dir herausgegeben), die zwei Lieder und die Variationen für 2 Pianoforte. Darf ich Dir nun die Variationen schicken? Und willst Du die zwei Lieder zum Druck vorbereiten? Es sind vielleicht einzelne Noten im Arrangement zu verbessern? –
Wozu sollen wir aber den Spitta gebrauchen? Einige einfache Worte von Dir werden mehr sagen als ein ganzer großer Aufsatz von Spitta über dasselbe. Ich bitte Dich, lieber Johannes, tue es und unter Deinem Namen, nicht dem meinigen, das wäre ja unnütz.
Hier gibt es viel hin und her über die Nachfolge Dessoffs, Alois Schmitt ist auch vor wenig Tagen hier angekommen, ich denke, um sich zu melden! – Er spricht sich nicht aus. Scholz übernimmt das nächste Konzert im Theater, ich denke mir, wohl auch die anderen, wenn nicht etwa ein provisorischer Kapellmeister eintritt. . . .
Schließlich muß ich Dir aber noch sagen, daß ich ganz begeistert bin über Deine drei neueren Stücke – das erste und dritte spiele ich immer, wie wunderbar beide, jedes in seiner Weise, im dritten, das eine so nationale Färbung hat (etwa Schottisch?), kann ich mich ganz vergessen. Wie sind da die Schlußtakte himmlisch. Aber auch die ersteren, das Intermezzo H Moll mit dem non troppo presto, wo ich mir mit den Fingern ein besonderes Pläsier mache, dann das Capriccio in G Moll mit dem Marsch, ferner das Notturno – auch diese spiele ich mit Passion, und muß ich Dir nochmals dafür danken – sie erhellen mein ödes musikalisches Dasein, denn nur am Klavier kann ich Musik genießen, Orchester und Quartettmusik nicht ertragen – da ist es, als spielte jeder etwas anderes.
Jetzt aber zum Schluß und nur noch einen warmen Gruß von Deiner
Clara.

[Umschlag]
Herrn
Dr Johannes Brahms.
Wien IV
4 Karlsstrasse.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
2071-2074

  Standort/Quelle:*) Umschlag: A-Wst: 55746,57a
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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