Interlaken, den 20. Juni 1892.
Pension Ober.
Lieber Johannes,
wie schmerzlich hat Deine Trauerkunde mich berührt! So hast Du denn auch die liebe Schwester begraben, und, wie traurig, ihren Tod noch als eine Erlösung von so schweren Leiden ansehen müssen! Wie manche schöne Zeiten treten bei dem Gedenken ihrer wieder vor meine Seele. So geht eines unserer Lieben nach dem anderen, und immer einsamer wird’s im Herzen. Elise hatte ich von Herzen lieb, und sie war ja Deine Schwester! –
Dich muß der Verlust tief getroffen haben, Du hast aber den schönen Trost, ihr das Leben leicht und sonnig gestaltet zu haben durch Deine brüderliche Stütze und Deine Kunst.
Du siehst mich mit Marie in Interlaken, Eugenie ließ ich in Locarno mit der Freundin, die mit ihr in Malta war. Eugenie wurde sehr krank und hat uns schwere Sorgen gemacht! Es geht ihr jetzt besser, aber, sie bleibt eben doch immer zart. Ich mußte sie verlassen, weil ich mich inmitten solcher Aufregungen, die ihr so sehr abwechselnder Zustand mit sich bringt, nicht erholen konnte, ich bedarf der Ruhe, wie auch Eugenie. Wir regten uns immer füreinander auf, das ging nicht. Ich bleibe jetzt mit Marie hier, bis es sehr heiß wird, dann gehen wir vielleicht auf den Brünig. Der Arzt meint zwar, die 600 m hier in Interlaken seien hoch genug für mich.
Die Angelegenheit mit dem Manfred ist recht ärgerlich, nun, wenn er schließlich zu den anderen Werken kommt, so will ich zufrieden sein. . . . Bitte, sage Ilona, ich danke ihr für ihr Briefchen, mir sei aber das Schreiben wegen Neuralgie im Arm eigentlich ganz verboten, und Marie könne kaum das Nötigste immer erledigen.
Schließlich noch von Marie die Versicherung ihrer wärmsten Teilnahme – Hamburg birgt nun wohl keines Deiner Lieben mehr!
Leb’ wohl, und lasse Dir das Beste wünschen von
Deiner
Clara.
[Umschlag]
Herrn
Dr Joh. Brahms.
aus Wien
Ischl.
Ober-Oesterreich.
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