23.01.2024

Briefe



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ID: 23368
Geschrieben am: Mittwoch 10.12.1890
 

Frankfurt a./M., den 10. Dezember 1890.
Lieber Johannes,
eine sehr unfreiwillige Pause habe ich gemacht, hätte auf Deinen lieben Brief und Karte gern längst geschrieben, aber ich bin überbürdet mit Schreibereien, zum großen Teil immer durch Ferdinand und Familie veranlaßt. Wir suchten für ihn, d. h. seinen ältesten Sohn, eine Apotheker-Lehrlingsstelle, und da gab es viel Hin und Her, jetzt endlich ist es gelungen, etwas Gutes zu finden. Dann gilt es wieder eine Pension für Julie zu finden, kurz, es hört nicht auf, ich will aber aufhören davon, ich wollte Dir nur einen Beweis geben, wie vieles an mich immer kommt. Jetzt habe ich auch die Ilona Eibenschütz nach Holland und London entlassen – was hat das wieder für Schreibereien verursacht! – Heute gibt es nun ’mal wieder eine Bitte an Dich, lieber Johannes.
Ich erhielt ein Schreiben vom Bürgermeister in Wien (wie heißt derselbe? wir können den Namen nicht entziffern) und sende es Dir mit der Bitte, mir zu sagen, ob ich da wohl das Original des Grillparzerschen Gedichts ohne Gefahr schicken kann? Es ist uns von großem Werte, daher ich vorsichtig bin, und wissend, Du bist es auch in solchen Fällen, bitte ich um Deinen Rat.
Mit Joachim hatten wir schöne Zeit, er war ’mal gemütlich hier. Hätten wir nur das neue Quintett gehabt! Da hast Du mich aber ’mal wirklich in recht falschem Verdachte gehabt, ich hatte wirklich nichts übelgenommen, nur das Leidwesen für Joachim. Hätte ich mich verletzt gefühlt, so hätte ich es offen gesagt. Ich habe Dir ja ’mal gestanden, daß ich zu wenig Gewandtheit, zu wenig Übung im Lesen solcher Werke habe, um mir einen klaren Begriff von ihrer Wirkung machen zu können, auch zu wenig Zeit, um mich, wie Herzogenbergs, gleich tagelang über ein neues Werk herzumachen. Gern hätte ich Hanslicks Artikel über das Quintett gelesen. – Kannst Du ihn mir verschaffen?
Mit Tinel hast Du recht gehabt, das ist nicht meine Musik. Zu wenig Natur, zu viel Raffinement.
Mit dem Direktor hier sind sie in großer Verlegenheit! Volkland möchte doch gern hierher (glaube ich), aber, so sehr ich es mir persönlich wünschte, ihm möchte ich doch nicht zureden, die Verhältnisse sind nicht angenehm.
Ich muß schließen, und bitte Dich um ein recht baldiges Wort wegen der Inlage, den Namen des Bürgermeisters und Rücksendung des Briefes. Soll ich eine Geldgarantie verlangen? Das gefällt mir aber nicht, und das Blatt von Grillparzer ist mir auch nicht zu schätzen, den Verlust würde mir keine Summe ersetzen.
Leb’ wohl, lieber Johannes – ich hoffe, das neue Jahr bringt uns das Quintett – durch Dich! In Treue
Deine Clara.
Hier grüßt alles sehr.
Der alte Avé ist nun auch dahin, es war doch grausam, so kurz vor der Feier.

[Umschlag]
Herrn
Dr Johannes Brahms.
Wien IV
4 Karlsgasse.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1973ff.

  Standort/Quelle:*) Umschlag: A-Wst: 55746,67a
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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