Frankfurt a./M., den 23. November 1888.
Lieber Johannes,
ich muß Dir eigenhändig sagen, welche Freude mir gestern abend Deine Sonate gemacht (Elise und Koning spielten sie mir), und nur ein Schatten trübte diese mir, daß ich sie nicht selbst spielen konnte. Wie wunderbar schön ist sie wieder, welche Wärme, Kraft der Empfindung, wie durch und durch interessant, im ersten Satz so ein herrlicher Orgelpunkt, und wie fein er am Schlusse wiederkehrt, wie sich da alles ineinander verschlingt, wie duftende Ranken! Sehr lieb (ja, was ist mir denn nicht sehr lieb?) ist mir der 3. Satz, ein liebliches Kind, anmutig spielend mit ihrem Geliebten, in der Mitte einmal ein Aufleuchten von tieferer Leidenschaft, dann wieder das anmutige Schäkern, das aber doch so ein wehmütiger Hauch durchzieht! Prachtvoll der letzte Satz, so leidenschaftlich bewegt, man tut sich da ordentlich eine Güte!
Ich denke mit Sehnsucht, wenn ich sie nur erst selbst spielen könnte, ach, solche Zeiten der Entsagung sind recht schwer! – Wie es mit Berlin wird, weiß ich noch nicht, einstweilen kann ich nicht an Spielen denken, habe aber auf Anraten des Arztes noch nicht abgeschrieben. Gleich studiere ich die Sonate, sobald ich es imstande bin. Elise hat sie übrigens merkwürdig gut gespielt. Ich schreibe Dir, sobald etwas entschieden ist. Noch eines: ich höre, die Herren vom Museum wollen eine Privatkammermusik veranstalten, wenn Du kommst, dann bitte ich Dich, nimm nicht für den 27. – 29. Januar an. Fillu muß nämlich nach Münster zum 28. und könnte dann die Zigeunerlieder hier nicht singen, worüber sie sehr unglücklich sein würde, und es wäre auch sehr schade, denn hier singt sie niemand nur annähernd so gut.
Mein Arm schmerzt, aber ich konnte über die Sonate nicht diktieren.
Leb’ wohl! Dank für alles von
Deiner alten
Clara.
Fillu reist am 26., kehrt zurück am 29.
[Umschlag]
Herrn
Dr Johannes Brahms
Wien IV
4 Karlsgasse.
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