23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 23338
Geschrieben am: Mittwoch 11.07.1888
 

Franzensbad d. 11. Juli 1888.
Loimanns Badehaus.
Lieber Johannes,
Du hast Dich vielleicht gewundert, daß ich auf Deine freundliche Sendung der Doppel-Partitur an Müller so lange schwieg, aber was kam alles zusammen in dieser letzten Zeit! Vorbereitungen zur Reise, verschiedene Abstecher, dann Gemüthsbewegungen aller Art, Sorgen, Kummer, Alteration, kurz, erst heute finde ich etwas Sammlung, Dir fürerst zu danken. Die Doppelpartitur hat uns außerordentlich interressirt, Müller ging sie Tact für Tact mit mir durch, |2| und konnte ich mich überzeugen, daß er sie genau studiert hatte, aber, er meinte, die 2te Instrumentation erscheine ihm doch glanzvoller, wirksamer, nur einige Stellen im Andante u. Scherzo finde er in der früheren Bearbeitung schöner. Für eine Aufführung der ersten Instrum. sei er doch nicht, wolle mir aber die Symphonie, wenn ich die Stimmen hätte, gern einmal in einer Probe vorspielen lassen. Dafür aber die Stimmen ausschreiben zu lassen scheint mir doch eine kostspielige Sache, und so werde ich mich drein ergeben müssen, sie nicht zu hören, denn für eine Probe kann ich dem Museum Vorstand doch nicht |3| die Kosten berechnen. Müller hatte die Doppel-Partitur mit großem Interresse durchgesehen, des bin ich überzeugt, aber er konnte sich nicht zu Deiner Meinung, daß die erste Bearb. schöner sey, bekennen, und sagte, er würde so gern einmal selbst mit Dir darüber sprechen mit der Partitur in der Hand. Wie soll ich es mit letzterer machen? Soll ich sie, was mir das liebste wäre, behalten, bis Du sie Dir selbst holst? schreibe mir darüber.
Wir sind nun hier eingelebt, das alte Badeleben wie immer; hätten wir nur besseres Wetter, um mehr im Freien sein zu können! u. wie schlecht ist dieses für die rheumatischen Schmerzen, die mich arg peinigen!
|4| Den Ferdinand fand ich wohl aussehend, aber an zwei Stöcken mühsam sich fortbewegend, und der Arzt sagte mir, er könne wohl kaum jemals seine Thätigkeit wieder aufnehmen. Habe ich dies auch immer gefürchtet, so war mir der Ausspruch doch ein schwerer Schlag, und ich sehe noch gar nicht ab, wie der Arme sein Leben hinbringen soll! das ist trostlos. Ich lasse nun seine Frau mit den zwei kleinsten Kindern in eine kleine Stadt ziehen (er darf nicht in das rauhe Berliner Klima, muß überhaupt noch lange unter arztlicher Aufsicht bleiben,) wo es billiger zu leben ist. Die drei Knaben in Schneeberg fanden wir munter und liebevoll gepflegt, aber ihre Zukunft beschäftigt uns doch vielfach! |5| Sie müssen so bald als möglich in’s practische Leben, denn wie sollte ich es erschwingen, sie studiren zu lassen, oder nach meinem Tod die Kinder? Ich kann es ja kaum jetzt ermachen, die Pension, die mich f. d. drei allein auf 2 000 Mark im Jahr kostet, dazu Ferdinand, der unter 500 M. monatlich nicht auskommt! Leider überzeugte ich mich, daß er in manchem mehr sparen könnte, als ers thut, es ist aber so hart so einem armen Menschen die kleinen leiblichen Genüsse zu verbieten, der allem Lebensgenusse ┌sonst┐ entsagen muß! ich habe oft darüber nachgedacht, ob ich mein Haus verkaufe und eine billigere Wohnung |6| suche, aber das ist mir so furchtbar schwer! ich habe vielleicht kaum mehr ein paar Jahre zu leben, und soll mich nun noch einschränken. Die Kinder bitten auch immer, daß ich es nicht thue. Das aber nur zu Dir, nicht wahr, lieber Johannes?
Zu allem Diesen kam nun noch eine große Alteration! Denke Dir, Marie Wieck hat ein Buch: „Friedrich Wieck und sein Lebens und Künstlerbild“ unter dem Namen Dr. Kohut ┌dem sie dafür 300 Mark gezahlt┐ herausgegeben, und eine Anzahl Briefe von mir an meinen Vater und von Ernestine v. Fricken an mich darin veröffentlicht, ohne mich zu fragen, ohne daß ich nur eine Ahnung davon |7| hatte, daß diese Briefe noch existirten. Ist das nicht empörend? ich hätte das Buch sofort confisciren lassen können, aber das würde einen Prozess nach sich ziehen, der zu peinlichen Situationen mit der Marie und der Mutter führen könnte, das will ich nicht, obgleich sie es verdient hätten. Der Verleger hat mich auf das dringendste gebeten, das Confisciren zu unterlassen, er wolle mir versprechen, keine 2te Auflage zu machen, ebenso bat die Mutter in einem recht lieblosen Briefe, immer aber mich an ihre 83 Jahre erinnernd, um Unterlassung, wobei sie heuchelte mir eine Ueberraschung |8| zugedacht gehabt zu haben. Ich wollte nun eine Erklärung in einige Hauptzeitungen einrücken lassen, (denn Niemand glaubt ja, daß ich davon nichts gewußt haben könne), damit helfe ich aber zu der Verbreitung des Buches, das, wie die Kinder sagen, schlecht geschrieben und zum großen Theil langweilig sey, und somit wohl wenig gelesen werden wird. Schließlich habe ich nun den Plan an einige Redacteure zu schreiben, daß, wenn ihnen das Buch zu Gesicht komme und sie darüber berichten müßten, eine Erklärung von Seiten des Recensenten gegeben werden möchte des Inhaltes, daß ich nichts von der Sache gewußt ect. ect. ┌glaubst Du es gut, wenn ich auch Hanslick zu einer Anmerkung schickte?┐
Marie hat die Briefe |9| nicht einmal revidiren lassen, sie sind ganz so wie ein Backfisch sie schreibt ohne Interpunction und ohne Styl Alles untereinander geworfen. Ein Condolenzbrief von mir an die Mutter nach Vaters Tod ist auch dabei – welche Rohheit! Die Beiden verdienten zum mindesten recht viel Geld bezahlen zu müssen, was der Fall wäre, confiscirte ich das Buch, aber, wie gesagt, klüger ist wohl, ich thue es nicht mich selbst vor neuen großen Aufregungen zu schützen. Außer meinen Briefen sind auch von Ernestine an mich darin, nachdem ihr Verhältniß mit meinem Mann gelöst war, in denen sie ihn beschimpft. |10| Und das lassen sie drucken, welche Gemeinheit! –
Doch genug, ich habe Dir schon so lang davon vorgesprochen, aber Du kannst ja denken, wie mich die Sache beschäfftigt! Die Kinder baten mich bei der Veröffentlichung der Jugendbriefe, doch Einige von mir zur Ergänzung mit aufzunehmen, ich that es nicht, weil ich es zu unzart empfunden hätte, u. nun muß ich so etwas erleben.
Mein Arm mahnt stark, leb’ wohl, lieber Johannes, laß mich bald von Dir hören. Ich bleibe hier bis zum 4. August, dann Obersalzberg bei Berchtesgaden, Pension Moritz. Die Kinder grüßen herzlich mit mir,
Deiner alten
Clara.

[Umschlag]
Schweiz.
Herrn
Dr Johannes Brahms.
Thun.
Hofstedten

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Franzensbad
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Thun
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1833-1838

  Standort/Quelle:*) US-Wc, s: ML95 .S386 no. 60 case; Umschlag: A-Wst: 55746,69b
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.