23.01.2024

Briefe



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ID: 23298
Geschrieben am: Sonntag 13.07.1884
 

Obersalzberg bei Berchtesgaden, Pension Moritz den 13. Juli 1884.
Lieber Johannes,
da wären wir denn auch wieder in der Sommer-Frische – heute kann man freilich kaum so sagen, denn nur im Walde, wo ich eben sitze, ist es erträglich. Klagen will ich aber nicht, wir haben ja lange genug an Sonne gedarbt, und haben sie recht nötig, Marie und ich, da wir beide seit fast 2 Monaten an Neuralgie, sie im Bein und Rücken, ich im Gesicht, leiden. Das ist eine peinigende Krankheit, wenn sie auch nur stundenweise quält.
Herzlich erfreut bin ich, daß Du wieder zu Deinem und der Menschheit Wohle ein so reizendes Fleckchen gefunden hast. Ich besann mich so ungefähr auf die Gegend, aber Fillu kennt es genau und sagt, es sei wunderschön da – die Nähe der großen Stadt ist nebenbei doch auch sehr angenehm! –
Wir haben in Frankfurt zuletzt recht unruhige Zeit gehabt, mit den Kindern doch manche Sorge, nicht nur momentane, sondern für ihre Zukunft!
. . . . Ich meine oft, es sei doch gar zu vieles Schweres für ein schon so viel geprüftes Herz, wie das meine, und doch, wo nimmt der Mensch nur die Kraft her, immer wieder zu sorgen und schaffen!
Von Frankfurt ist wenig zu erzählen, in unserer Schule ging soweit alles gut, und haben wir doch Scholz vieles zu danken, er paßt in vieler Hinsicht sehr gut zum Direktor, nur ist er sehr unruhig, immer beschäftigt mit dem Wunsche, uns zu zeigen (dem anderen Konservatorium gegenüber), durch jede Bewegung von der anderen Seite erregt, und da muß ich ihm immer zureden, doch ruhig voranzugehen und die Leute zu ignorieren; wenn die Prüfungszeit kommt, werden wir ja zeigen, was wir getan, wir kennen ja unsere Kraft und die der anderen!!! Und, leisteten diese wirklich auch Gutes, nun, so schadet uns das nicht, Frankfurt ist groß genug, zwei oder drei gute Institute zu besitzen – ich könnte mich viel eher aufregen darüber, daß in dem Raffschen Konservatorium so wenig gute Kräfte sind, denn, Bülow ist nicht zu rechnen als Lehrkraft, da er ja kaum unterrichtet, nur vorspielt – so hörte ich wenigstens. Sehr froh bin ich, daß Scholz den Rühlschen Verein bekommen hat, wo er dann doch zuweilen den Taktierstock schwingen kann; wer das einmal jahrelang getan, vermißt es gewiß schwer. . . . .
Eine vortreffliche Lehrerin haben wir an der Héritte, und ist sie mir auch sonst sehr lieb, sie ist ein humanes gescheites Wesen, und passen wir in unseren Anschauungen meistens sehr gut zusammen, und je länger sie in Deutschland lebt, desto mehr wird dies der Fall sein. –
. . . . Hiller denkt nicht an Fortziehen – das war wohl nur in der ersten Aufregung. Herzogenbergs richten jetzt ihr reizendes Haus ein, deshalb sahen wir sie noch nicht. Leider hat sich mit Wiesbaden für nächsten Winter alles zerschlagen, aber sie denken doch später ernstlich daran.
Ich denke, wir bleiben hier bis Ende August. Dann gehen wir vielleicht nach dem Comer See. Ach ja, das muß schon Wonne sein, in so einer Villa ’mal eine Zeitlang zu leben, anders, als wenn man da herumgeführt wird und keinen anderen Schritt gehen darf, als der Führer will.
Ich habe mein Pianino mit hier, um doch meine Finger in Übung zu erhalten, auch arbeite ich an der instruktiven Ausgabe, was wohl eine große Mühe ist, weil man immer wieder von vorn anfängt, aber, was ich übernommen zu haben doch nicht bereue. Allerdings finde ich das Honorar, so viel es auch schien, jetzt nicht genug, anbetrachts der Zeit und Mühe. Hier oben ist der Professor Lübke, was mich sehr freut, ich habe ihn sehr gern und schätze ihn hoch.
Und nun, lieber Johannes, will ich schließen – laß bald ’mal wieder von Dir hören
Deine alte
Clara.
Marie, Eugenie, Fillu grüßen schönstens.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Vordereck/Obersalzberg
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Mürzzuschlag
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1702-1705

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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