23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 23235
Geschrieben am: Donnerstag 07.11.1878
 

Frankfurt a. M., den 7. November 1878.
Lieber Johannes,
ich war gerade dabei, mich an den Klavierstücken zu ergötzen – einige davon kann ich jetzt ordentlich, sie sind nämlich wirklich meist recht schwer – da kam Dein Brief, und so will ich nicht zögern, Dir fürerst zu sagen, daß ich große Freude daran habe. Ein Liebling von mir ist auch das C dur, und Du willst es weglassen? Warum das gerade? Soll eines weggelassen sein, so bin ich mehr für das in A dur, wo der Mittelsatz zwar reizend, aber sehr Chopinsch, aber das erste für Brahms zu unbedeutend ist – verzeihe! In diesem in C hätte ich so gern beim Rückgang den ersten reizenden Anfang wieder, das ließe sich doch gewiß leicht machen? Ich liebe die ersten vier Takte nach dem Rückgang nicht, sie klingen trocken bis zu der Stelle:
[Notenbeispiel]
da wird es wieder anmutiger. Dann am Schluß, da könnte der 2. Takt:
[Notenbeispiel] etc.
hübscher klingen mit anderem Akkord, der darauffolgende ist so schmelzend, und dieser so trocken. Am letzten Schluß studiere ich immer, wie ihn zu spielen, daß er nicht so grell klingt, er ist geistreich, aber nach all dem Wohllaut im ganzen Stück empfindlich. Bitte, laß ja das Stück nicht aus – es wäre schade. Das erste liebe ich stellenweise sehr, aber mit den Rückungen im Takt kann ich mich nicht befreunden, ich kann das Stück nicht genießen. Nr. 2 ist reizend, Nr. 4 A moll habe ich auch sehr gern – beim Übergang bin ich sehr für den 3/2-Takt, der ihn etwas verlängert, was behaglicher ist. Im Fis moll-Stück ist mir einiges, was Du geändert, aufgefallen, z. B. früher so:
[Notenbeispiel]
jetzt anders in Oktaven gehend, was härter klingt, ebenso das 2. Mal. Dann gefällt mir der frühere Anhang, wo es wieder in das erste kommt und der Baß es abnimmt, besser, weil es nicht gleich vom Anfang an im Basse, auf Fis bleibt, gerade hat mich die frühere Lesart immer so sehr entzückt. Aus welchem Grunde hast Du es geändert? Ich liebe auch so sehr die Verlängerung beim Wiedereintritt. Die zwei kurzen Stücke As dur und B dur sind kleine Perlen. Im As dur bin ich für die Wiederholung des ersten Teiles, es wird klarer im Ganzen, glaube ich. Ich bin länger geworden, als ich es in einer Korrespondenzkarte gekonnt hätte; aber mir lagen diese einigen Bemerkungen am Herzen, vielleicht scheint Dir doch eine oder die andere richtig.
Meine Sendung der Korrekturen hast Du nun wohl erhalten, und daraus gesehen, daß ich die Skrupel beiseite setze, für mein Gewissen mußt Du mir gestatten, daß ich wenigstens die Sachen immer erst ansehe, ehe ich sie Dir schicke, Dir bleibt dann immer die endgültige Entscheidung. Wegen der Impromptus und Papillons habe ich Härtels gebeten, bei Hofmeister nach Manuskript zu forschen. Ich schicke nächstens die Phantasie.
Ich kann Dir nicht beschreiben, wie ich beschäftigt bin, wozu noch kömmt, daß ich einige Privatstunden (zu 30 Mk.) (!!!) übernommen, die ich aber – schon wieder aufgebe, weil ich es nicht aushalte, vormittags 3 Stunden zu geben – nachmittags geht es nicht, da gibt es zu viel anderes zu tun, ich muß doch auch selbst täglich 1–2 Stunden üben können. Ich habe aber einige nette Schülerinnen.
Von Wien erhielt ich eine Einladung von Frau Wagner, K. K. Hofschauspielers-Witwe, zu einem Wohltätigkeitskonzert – wegen eines Konzertes kann man aber doch nicht nach Wien reisen. England habe ich (mit schwerem Herzen freilich) wieder für dies Jahr aufgegeben, hauptsächlich auch wegen Felix, den ich nicht für so lange Zeit einer der Schwestern überlassen möchte.
Wie die Symphonie in Breslau war, ob Du Freude daran gehabt, schreibst Du mir gar nicht. Wenn doch nur die Leute (wie Sch . . . ) nicht komponierten, es ist ein wahres Malheur. Hier muß nun auch jeder und jede komponieren, ehe sie erst die Akkorde sicher haben (das aber unter uns).
So leb’ denn wohl für heute. Beantworte mir meine einigen Aussetzungen. –
Ich lasse mich gern belehren, und mich interessieren Deine Gründe dagegen.
Von Herzen
Deine
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1474-1478

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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