23.01.2024

Briefe



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ID: 23210
Geschrieben am: Montag 20.08.1877 bis: 21.08.1877
 

Spinabad, den 20. August 1877.
Liebster Johannes,
ein Unwohlsein, das mich mehrere Tage nicht verließ, verhinderte mich, Dir früher schon den Empfang Deines so inhaltreichen Kuverts zu melden und Dir zu sagen, wie große Freude ich an der Ballade gehabt. Der Text ist wohl schrecklich, aber wie Du ihn komponiert, ist wunderbar; wie ist man trotz der vielen Wiederholungen der Motive immer wieder interessiert, wie mannigfaltig sind diese, je nach der Stimmung, umkleidet, immer wieder erscheinen sie einem neu! Wie viel haben wir das Stück gespielt (Volkland mit), und hätten wir nur gleich ein paar Sänger, etwa den Vogel und die Brandt, an die ich immer dabei denken muß, dagehabt! – –
Du willst die Ballade zurück haben, daher ich sie Dir morgen schicken werde – gern gebe ich sie nicht her, aber ich möchte mich durch Mißbrauch Deiner Güte nicht undankbar erweisen.
Ich lege dem Stück noch ein paar Dichtungen von Felix bei, möchte wohl wissen, was Du davon hältst? Er hat sie noch nicht gefeilt, scheint damit noch warten zu wollen. Mich, die, wie Du weißt, in bezug auf sein dichterisches Talent immer ziemlich kühl war, denn ich fürchte nichts so sehr, als die geistigen Gaben seiner Kinder zu überschätzen, hat vieles darin doch sehr überrascht; ich finde so viel Poetisches, Feinsinniges und schöne Sprache oft. Manches auch recht musikalisch! Sag’ mir, lieber Johannes, was Du davon denkst? Felix will die Sachen nämlich drucken lassen, und das macht mir Sorge. Er will sie, sobald ich sie von Dir zurückerhalte, an eine Autorität schicken, etwa Heyse oder Grimm? Bitte, sende mir sie, sobald Du sie gelesen, zurück; vom 1. September an: Lichtenthal bei Baden-Baden. Wir gehen am 30. oder 31. von hier fort. Jetzt ist es herrlich, das Wetter schön, und die Luft, trotz großer Hitze, erquickend, aber ich sehne mich nach Baden.
Mit Härtels ist der Würfel nun gefallen, nachdem meine Antwort wieder drei Wochen fix und fertig lag. Ich schrieb ihnen nach Deinem Rate, daß sie mir die eine Hälfte des Honorars Neujahr 1878 und die andere Hälfte nach Beendigung des Ganzen bezahlen möchten; aus Vorsorge schicke ich Dir aber doch den einen Vertrag (Abschrift), lies ihn, bitte, und sage mir, ob ich ihn so unterschrieben zurücksenden soll? Ich tat es noch nicht, möchte doch vorsichtig sein. Du hast Dich nun einmal von vornherein so meiner in dieser Sache angenommen, daß Du mir nicht bös werden mußt, wenn ich nichts gern ohne Deine Beistimmung tue.
Härtels fragen mich nun, womit ich anfangen wolle? Ich meine, das kann sich doch nur darnach richten, was sie zuerst veröffentlichen? Aus dem Kontrakt sieht man, daß sie schon 1878 mit der Veröffentlichung beginnen wollen. Denke Dir nun, daß, nachdem ich nach Novellos Schweigen von 2 1/2 Monaten auf meinen Brief nicht anders schloß, als daß sie die Sache fallen gelassen, bekomme ich vor 8 Tagen einen Brief, sie wären zu allem erbötig, was ich wünsche, also auch ihre Bedingung, das Eigentumsrecht für alle Länder aufzugeben, wenn ich es nur übernehmen wolle. Ich schrieb darauf, aus ihrem langen Schweigen schließend, sie wollten die Verhandlungen als abgebrochen ansehen, habe ich mich in ein Engagement mit Härtels eingelassen, welches mir nicht erlaube, die Arbeit für einen anderen Verleger als sie zu machen. Darauf kam nun heute wieder ein Brief, wo sie sich sehr bestürzt äußern und sagen, es sei nicht recht von mir, daß ich, ohne es ihnen zu sagen, mit Härtels ein derartiges Engagement abgeschlossen habe, sie hätten überhaupt nicht geglaubt, daß ich solche Eile damit habe. Was sind das aber für lässige Geschäftsleute. Ich will Dir doch den Brief bei dem Päckchen auch beilegen, vielleicht findest Du gut, daß ich gegen Härtels etwas darüber, und in bezug auf den Wunsch, den Novello ausspricht, daß ich für sie bei H. sprechen möchte, schreibe? Ich erschrecke förmlich über meine Anliegen! Aber Du weißt ja, wie wenig ich von Klugheit aufzuweisen habe! –
Schönsten Dank für die Photographien, die mir einen Begriff von Deinem reizend romantischen Aufenthalt geben! Gern wüßte ich, wielange Du noch dort bleibst, und was Du für den Herbst vorhast? Vielleicht kommst Du doch noch etwas nach Baden? Freilich, weit ist es wohl von Pörtschach aus? Wir gehen ’mal wieder in unser Häuschen, und wollen bis Anfang Oktober bleiben. Felix geht mit uns, auch Elise kommt noch einige Tage zu uns, ist auch jetzt hier. Wir wollten zusammen nach Italien zu dem armen Marmorito, aber ich kann es doch nicht aus materiellen Gründen, vor allem hält mich die große Gemütsbewegung jetzt, wo mir die Trennung von Elisen in eine andere Welt bevorsteht, davon ab – ich darf mir nicht mehr zuviel darin zumuten, auch glaube ich, hat M. später ’mal mehr von meinem Besuch, als jetzt, im ersten Schmerz.
Nun aber reißt Dir vielleicht die Geduld! Sei so gut und schreibe mir auf meine Geschäftsfragen gleich einige Worte hierher, die Dichtungen und den Kontrakt von H. kannst Du mir später nach Baden schicken – ich habe noch einen Kontrakt hier, den schicke ich sofort nach Deiner Antwort ab, wenn Du damit einverstanden bist.
Schließlich sei mir von ganzem Herzen gegrüßt – von hier folgen auch allerlei Grüße!
In alter Liebe
Deine
Clara.
Nochmals Dank für die Musik-Wonnen, die Du mir hier in mein Exil gezaubert hast.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Spinabad
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Pörtschach
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1394-1397

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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