23.01.2024

Briefe



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ID: 23144
Geschrieben am: Sonntag 05.02.1871 bis: 10.02.1871
 

London, den 5. Februar 1871.
14 Hyde Park Gate. Kensington.
Lieber Johannes,
später als ich gehofft, kam mir Dein Gruß nach England, doch danke ich Dir nicht minder herzlich dafür . . .
So wären wir also wieder in England, diesmal nach etwas längerer Seefahrt, die nicht eben angenehm war, als wir heftiges Schneewetter hatten und in Dover schwer landen konnten. Nun, schließlich kamen wir denn doch zu unsern guten Freunden, die uns mit der größten Herzlichkeit empfingen. Von solch ’ner Gastfreundschaft haben wir in Deutschland doch keinen Begriff, freilich aber auch nicht das Geld wie diese Leute. Miß Burnand hatte Marie diesen Herbst gefragt, ob ich in bezug auf das Bett etwas zu wünschen hätte, worauf Marie erwiderte, daß, da sie so freundlich darnach frage, sie ihr gestehen wolle, daß ich auf Springfedern zu schlafen gewohnt sei . . . . als wir nun hierher kommen, finden wir zwei wunderschöne Springfederbetten, und liege ich nun hier, wie ich nie in England gelegen.
So geht es in allem möglichen weiter, und doch – meinen vertrautesten Freunden darf ich es wohl sagen – vergeht keine Stunde fast, wo ich nicht einige verstohlene Seufzer nach Deutschland sende, die ich kaum mir selbst eingestehen mag, weil es mir so undankbar vorkömmt. Hier aber fühle ich es immer, wie ich mit jeder Herzensfaser an Deutschland gekettet bin. Diesmal kommt dazu nun noch die anti-deutsche Gesinnung der Engländer, die eben, was ja recht schön an und für sich ist, ihre Sympathie dem schwachen Teile, also den Franzosen zuwenden. Ich glaubte erst, es sei auch etwas Neid der Engländer, daß wir Deutschen uns auch ’mal groß gezeigt, doch versichern mir hiesige Deutsche, dies sei es nicht, sondern nur das Mitleid. Man muß aber manches hören, was man ungern hinunterschluckt, aber schweigen ist das beste – in der Politik für Frauen wohl überhaupt!
Den 10.
Eine lange unfreiwillige Pause, wie Du siehst, und was alles liegt schon wieder zwischen diesen 5 Tagen! wie manche Angststunde! Gott weiß, wie ich es anfangen soll, die Angst, die mich so oft befällt, zu bemeistern! Dabei spiele ich meist so glücklich wie je, und doch oft ängstige ich mich von einem Stück zum anderen, daß ich es gar nicht beschreiben kann. – Wiederum kann ich mich nicht entschließen, von Noten zu spielen, es ist mir immer, als bände ich mir die Flügel, die doch noch immer einige Schwungkraft besitzen – mehr für die Kunst als für das Leben, das nicht aufhört, mit immer neuen Prüfungen an mich heranzutreten. Mit dem Gehör geht es immer abwechselnd, besser und schlechter! Gott sei Dank, daß unsere Sorge um Ferdinand sich doch jetzt etwas gelegt hat – wir wissen ihn wenigstens nicht mehr in dieser augenscheinlichen Gefahr. Die jungen Leute haben nun alle einen wahrhaft diabolischen Zug nach Paris, wo gewiß für nichts zu stehen ist. Hoffentlich ziehen sie da nicht ein.
Wie sehr freute mich Dein Erfolg im Philharmonischen Konzert! Und Dein Requiem führst Du nun nächstens auch ganz auf? Wann? Und gehst Du wieder zum Karfreitag nach Bremen?
Deine Idee mit Salzburg wäre schon ganz schön, wäre ich ein junger lediger Mann wie Du, aber wenn man sein home hat, wie ich, und dieses überhaupt nur einige Monate im Jahr genießt, daselbst die Kinder doch zum Teil bei sich haben kann, wäre es nicht vernünftig, noch anderswo zu leben. Dann muß ich dieses Jahr wirklich entschieden in hohe Bergluft, wohl nach Moritz auf 4–5 Wochen, und zwar im Juli. Das ist dann so schön doch, daß ich kaum wage, einen Wunsch nach Salzburg noch in mir aufkommen zu lassen. So werden wir uns denn, entschließt Du Dich nicht, nach Baden zu kommen, erst im Herbst in Wien sehen, wenn es so im Schicksalsbuche steht, daß ich dahin komme.
Wir hoffen mit heißester Sehnsucht auf Frieden, und ist dem so, dann denke ich, Ferdinand vom 1. Juli an bis 1. Oktober frei bei mir zu haben. Da ist sein Militärjahr um, und erst im Oktober soll er wieder ins Geschäft. Doch, daß ich es niederschrieb, ängstigt mich schon.
Joachim erwarten wir morgen, Montag spielt er zum ersten Male. Ich bin sehr froh, daß er kommt, denn das Spielen mit anderen kommt mir schwer an, es scheint einem alles so nüchtern. – Meine Aufnahme hier ist wieder außerordentlich – sie begrüßen mich wirklich stets wie einen Liebling. Wie dumm, wenn man da die Angst doch nicht los wird. Einen recht traurigen Eindruck macht mir hier Mad. Viardot, die ich neulich in einem höchst ungemütlichen schmutzigen Lodging fand, und die mir erzählte von den furchtbaren Schülern, die sie hier hat. Wie unwürdig einer solchen Künstlerin, und wie traurig, daß sie dazu gezwungen ist . . . . Ich glaube nicht, daß sie wieder nach Baden geht. Mir scheint, sie und Turgenieff, der auch hier ist und nächster Tage nach Baden geht, „um Geschäfte zu ordnen“, wie sie sagt, verkaufen ihre Häuser. Ich habe neulich, als ich bei ihr war, immer mit meinen Tränen gekämpft, sie dauert mich zu schrecklich. Gut, daß sie es nicht ahnte, sie hätte mich wohl ausgelacht . . . . Es mahnt mich zum Aufhören.
Gib mir bald wieder ein lebendiges Zeichen, lieber Johannes.
Grüße Betty – ich bin ihr Brief schuldig – nächstens hoffe ich es zu ermöglichen. Wie freut es mich, daß Du sie gern hast. . . .
Marie und Eugenie grüßen schönstens. Eugenie sieht sich London recht ordentlich an, und haben die Leute hier sie gern. Für Marie ist es noch eine besondere Freude und Erheiterung, sie mitzuhaben, denn mit mir allein hat sie es manchmal schwer.
Leb’ wohl! Sei von Herzen gegrüßt von Deiner
Clara.
Julie ist wohl, ihr Kleiner macht ihr große Freude. Felix entwickelt sich mehr und mehr mir zur Freude.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: London
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1173-1177

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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