23.01.2024

Briefe



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ID: 23142
Geschrieben am: Sonntag 20.11.1870
 

Berlin, den 20. November 1870.
Lieber Johannes,
ich möchte nicht säumen, Dir mitzuteilen, was uns alle hier von Herzen gefreut und Dir zu hören doch auch lieb sein muß, daß Dein B-dur-Sextett im letzten Quartett, von Joachim herrlich einstudiert, einen wahrhaft glänzenden Erfolg gehabt. Alle Sätze wurden enthusiastisch aufgenommen, das Scherzo wiederholt. Ich habe es so schön noch nicht gehört und habe ganz besonders dabei genossen. Wie war es mir leid, daß Du nicht dabei warst! Es sind auch bereits einige recht anständige Rezensionen gekommen (heute), wunderbar für die Berliner Kritik-Verhältnisse, die Du vielleicht aber schon gelesen hast, ehe Du dieses erhältst, da ich gestern keine Zeit zum Schreiben herausfinden konnte.
Es verfliegen hier die Tage fast wie in London, da die Entfernungen enorm sind, und überdies jetzt die Konzert-Korrespondenzen im vollsten Gange bei mir sind trotz Krieg und allem sonstigen Elend.
Dein Quintett wirst Du wohl längst von Levi erhalten haben?
Bis jetzt hatten wir stets gute Nachrichten vom Ferdinand, jedoch sind die Strapazen, die er auszuhalten hat, enorm, und von großem Glücke können wir sagen, kehrt er uns unversehrt zurück.
Von Joachims Kündigung hier wirst Du gehört haben – es ist eine unglaubliche Geschichte, die freilich Joachims große Nachgiebigkeit und seine für Herrn von Mühler gänzlich unverständliche Noblesse herbeigeführt hat. Herr v. M. hat sich glänzend in der Sache blamiert, er hat Joachim wie einen ihm ganz Untergebenen behandelt. Wäre jetzt nicht der Krieg, so wäre die Sache wohl bald erledigt (d. h. in andere Hände gegeben), jedoch wie soll der König und Bismarck jetzt sich mit künstlerischen Interessen befassen?
Wir hoffen alle, daß Joachim das Institut, das schon aufs erfreulichste gedieh, nicht aufgibt – es wird sich wohl jemand finden – ich vermute Mendelssohn –, der das Risiko einstweilen übernimmt.
Von Dir vernimmt man ja gar nichts? Gedenkst Du noch hierher zu kommen?
Mit herzlichem Gruße
Deine Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1166f.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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