23.01.2024

Briefe



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ID: 23137
Geschrieben am: Sonntag 19.06.1870
 

Baden, den 19. Juni 1870.
Besten Dank, lieber Johannes, für Deine beiden Briefe. Nun denke, wie sonderbar! Am Morgen des Tages, wo ich abends Deinen ersten Brief erhielt, hatte ich an Herbeck abgeschrieben, ganz offen, daß ich in Gemeinschaft mit Wagner, der das mir Heiligste und Höchste in der Kunst wie im Leben angetastet und künstlerisch eine mir ganz unsympathische Richtung verfolge, kein Beethoven-Fest feiern könne etc. etc.
Der Brief konnte in Ermangelung eines dienstbaren Geistes nicht besorgt werden und blieb bis abends, wo Deiner kam, liegen. Ich schrieb nun einen andern, ich welchem ich mich aber auch nicht band, sondern erst um genauere Nachricht, wer dirigiere, wie das Programm festgestellt, bat, um alsdann sogleich meine Entscheidung zu geben. Du bist aber im Irrtum, wenn Du meinst, Liszt geniere mich am meisten! Dieser hat mir persönlich nie etwas getan (mir oder Robert), während Wagner in geringschätzendster Weise über Robert, Mendelssohn und Euch spricht, in wahrhaft unverschämter Weise; und unter dessen Direktion sollte ich mich hinsetzen und spielen? Und hätte ich in einem schwachen Momente, wo die Lust, gerade da zu spielen, mich alles andere hätte übersehen lassen, zugesagt, ich glaube, ich hätte noch tags zuvor wieder abgesagt, ich schämte mich vor mir selbst. Ich bin nun begierig auf Herbecks Antwort. Sollte diese nun so sein, daß ich zusagen möchte, kannst Du nicht erforschen, was man wohl Honorar zu zahlen denkt? Sie fragen mich darum, und ich bin in Verlegenheit, möchte nicht zu viel, aber auch nicht weniger verlangen, als sie etwa anderen Künstlern geben würden.
Von Kirchner habe ich neulich ein kleines Heft gesehen, es ist aber schwächer als Früheres – wolltest Du künftig nicht mehr Noten liefern als er, das wäre eine grausame Drohung. Mit der ist Dir’s auch nicht Ernst, im Gegenteil, ich hoffe allen Ernstes auf viele Bogen.
Soeben schickt Frau Becker, der ich gestern Dein baldiges Kommen mitteilen ließ; sie bittet mich, Dir zu schreiben, daß sie sich sehr freue, Dich wieder bei sich zu logieren, daß sie aber gern gleich wissen möchte, welches Zimmer Du wünschest; es hat nämlich ein Herr aus Mannheim vom 1. Juli an bei ihr gemietet, dem hatte sie Deine Zimmer versprochen, wenn Du nun aber kommst, und nicht vielleicht sogar lieber den Salon unten bewohnst, was Du vorm Jahr wohl geäußert hättest, so glaubte sie, der Herr würde sich auch dazu verstehen, das untere Zimmer zu nehmen. Es wäre wohl gut, Du schriebst ihr oder mir darüber. Weniger aber bieten, als Du bisher gegeben, das genierte ich mich, denn 16 fl. per Monat ist sehr mäßig für hier. Du mußt aber ja nicht mehr geben, wenn Du etwa den Salon nimmst, das habe ich auch schon erwähnt.
Schön ist’s, daß Du kommst, liebster Johannes! Wäre ich nur wirklich das schöne Menschenbild, daß Du so erquicklich schilderst. Gestrebt habe ich mein Lebtag nach so harmonischem Wesen, aber schwer ist’s, und gar, wenn das Leben mit harten Schlägen drein fährt. Daß sich aber im steten Ringen und Kämpfen manches erlangen läßt, spüre ich jetzt recht, ich erlange die Ruhe, die ich für uns alle brauche.
Nachrichten von Ludwig hatten wir kürzlich keine, Du weißt, wie wenig man aus solchen Anstalten erfährt. Er selbst antwortet auf keinen unserer Briefe; er scheint so hinzuträumen. Ach, wenn er nur keine Schmerzen leidet!
Von Levi und Allgeyer weiß ich nichts, als daß ersterer auf Urlaub ist, wo aber, ist mir unbekannt. Wer sonst hier, ist mir auch unbekannt. Mad. Viardot sah ich nur auf Augenblicke – sie gibt wieder Matineen für die Königin und ihr Gefolge. – . . . . . Unsre eigne Familie besteht aus mir, Marie und Eugenie, die mir Freude macht, da sie sich ganz nett entwickelt hat. Nächsten Monat kommt Felix, mit dessen hartem Kopf ich schlimme Tänze hatte. Es ist so schwer für eine Mutter, Söhnen gegenüber die nötige Konsequenz zu behaupten, besonders wenn sie in lem (das sage ich aber nur Dir) gescheiter sind als die Mutter selbst. Elise kommt für 2–3 Tage, geht dann nach Passerano und kommt im Herbst noch wieder zu uns.
Nun lebe wohl! Schweige nicht zu lange.
Getreuest Deine
Clara.
Marie und Eugenie grüßen.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
Empfänger: Brahms, Johannes (246)
  Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1155-1158

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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