23.01.2024

Briefe



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ID: 23124
Geschrieben am: Montag 17.08.1868
 

Baden-Baden, den 17. August 1868.
Da wäre ich denn endlich wieder in meinem lieben Häuschen, und will ich denn auch Dir wieder einen Gruß senden. In St. Moritz kam ich nicht dazu, Dir, lieber Johannes, zu schreiben, die Tage vergingen so schnell, am Morgen das Bad und Spaziergang, am Nachmittag wieder bis zur Abendtafel im Freien, da blieb nur kurze Zeit des Vormittags zum Schreiben, und war ich dann froh, wenn ich immer das Nötige zustande brachte. Der Aufenthalt ist mir aber recht gut bekommen und besonders die herrliche Luft. Von Hitze, wie ich sie hier fand, haben wir dort nichts gespürt, wohl aber ’mal einen Tag Schneegestöber und acht Tage bedeutende Kälte gehabt. Die Gegend des ganzen Engadin ist wunderbar großartig, jedoch oft so steril, daß man sich erst hineinleben muß, nicht wie im Berner Oberland erquickt wird durch den schönen Verein des Lieblichen mit dem Grandiosen. Was man im Oberland findet, Erheiterung, diese muß man im Engadin nicht suchen, die ganze Natur stimmt mehr ernst. Da ich nun aber des Ernsten in mir genug durchzumachen hatte, so brauchte ich etwas Zeit, mich heimisch dort zu fühlen, und empfand nachher das Wohltuende der Natur in Interlaken, Luzern u. a. O. mehr denn je. Auf der Rückkehr verlebte ich da noch schöne Tage; auf dem Rigi traf ich die Familie Schmitt aus Frankfurt, in Interlaken besuchte ich Lazarusens drei Tage und reiste dann mit ihnen zurück. Auf den Rigi machte ich mit Elisen eine etwas abenteuerliche Partie; wir ritten nachts 1 Uhr mit 2 Führern auf Rigi Kulm, um dort die Sonne ganz wunderbar aufgehen zu sehen. Es war eine Vollmond-Nacht, wie man sie nie vergißt.
Wo magst Du nun aber weilen? Noch in Bonn? Ich adressiere diesen Gruß dorthin! Frau Dunklenberg sagte mir in der Schweiz, Du seist noch dort. Oder bist Du vielleicht mit Stockhausens nach Interlaken? Laß mich erfahren, wie es Dir geht und wo Du bist.
Für die Bilder noch meinen besten Dank – da Du es so willst, nehme ich sie ohne weiteres an.
Hier ist viel Leben jetzt, ich halte mich aber so viel als möglich zurück. Levi kommt öfters herüber, und das ist uns immer das Angenehmste. Kapellmeister Schmitt aus Schwerin war auch zwei Tage da, jetzt ist Auer, Ciprian Potter aus London und verschiedene da.
Nächste Woche sollen wir Mad. Viardots neue Operette „Der Menschenfresser“ hören, worauf ich sehr gespannt bin und mich freue. Sie läßt jetzt neben der Tonhalle eine Bühne bauen. – Die Meistersinger sollen auch nächstens ’mal drankommen.
Mir liegt nun jetzt vor allem das Arbeiten am Herzen – wie tut einem das wohl nach beinah 4 monatlicher Pause – ich finde Bummeln gräßlich. Leider wird mir gar wenig Zeit bleiben, denn wie bald ist es Oktober, und da rüstet man dann schon wieder zur Reise. Diesmal will ich denn wirklich nach Wien und hoffe, es kommt mir nichts dazwischen. Wie steht es mit dem Requiem? Wann erscheint es und was sonst? Mir scheint, es war eine lange Pause!? – Wenn führst Du das Requiem in Zürich auf? Was sagst Du zu Kirchners Verlobung? . . . . Von Dir habe ich so etwas munkeln hören, was mir recht gut gefallen könnte, doch, ich will abwarten, bis Du es mir selbst meldest! –
Von uns kann ich Dir im ganzen mehr Gutes sagen; Felix geht es recht gut, Julien abwechselnd, und mit Ludwig geht es auch soweit leidlich, daß er je nach seinem Können fleißig ist. Mehrere ärztliche Untersuchungen haben freilich herausgestellt, daß sein Nervensystem ein äußerst angegriffenes und sein Augenleiden großen Einfluß auf sein Denkvermögen übt, er daher großer Schonung bedarf. Das ist ein bitterer Schmerz für mich, ich beklage den armen Jungen und werde tun, was ich kann für ihn, aber den Schmerz zu bewältigen trachten – ich darf ihm ja nicht nachhängen, da die anderen Kinder auch Ansprüche an mich haben und mir so viel Freude machen.
Nun sei gegrüßt, lieber Johannes, und laß bald ’mal wieder von Dir hören
Deine
Clara.
Frl. Leser und Junge sind hier und grüßen.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Bonn
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1108-1111

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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