23.01.2024

Briefe



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ID: 23118
Geschrieben am: Sonntag 22.12.1867
 

Frankfurt, den 22. Dezember 1867.
Lieber Johannes,
ich fürchte, mein Weihnachtsgruß kommt Dir diesmal erst am 1. Feiertag zu, was mir sehr leid ist, jedoch bin ich gestern abend erst hier angelangt, und die letzten Wochen waren höchst anstrengende für mich, wo ich nur die nötigsten Briefe diktierte. Du weißt, für Dich nehme ich mir gern eine ruhige Stunde und mit eigener Feder.
Fürerst nun wünsche und hoffe ich, daß Du den Weihnachtsabend mindestens mit netten Menschen verlebest – an Aufmerksamkeiten von vielen Seiten wird es Dir nicht fehlen. Unserer gedenken wirst Du hoffentlich auch, und ist uns auch durch Juliens Wegbleiben eine arge Täuschung geworden (das arme Kind ist plötzlich wieder sehr unwohl gewesen und kann deshalb erst 8 Tage später kommen), so sind wir doch dreie zusammen (Ferdinand ist gestern auch gekommen), und es wäre undankbar, wollten wir nicht das genießen, was uns gegeben ist – wir haben doch die Hoffnung auf baldiges Wiedersehen unserer geliebten Julie. Ich bin immer so froh und dankbar, wenn ich weiß, ich habe die Kinder alle noch.
Nun zum Dank für Deinen letzten lieben Brief, der nun zwar allerdings, wie Du selbst sagst, nicht ganz leicht zu verstehen war, den ich aber schließlich doch verstanden.
Über das Requiem habe ich glücklicherweise doch noch anderes gehört, als Du mir schriebst, und namentlich freute mich sehr, was Joachim seiner Frau darüber schrieb. Ach, könnte ich es doch ’mal hören, das wäre ’mal wieder ein Fest.
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Was das Öffentlich-Spielen◊1 Deiner Kompositionen aber betrifft, so geht es ihm damit wie auch mir oft. Dem Komponisten kann man es nie verdenken, wenn er viel seine Sachen spielt, der Dritte hat aber mit der Opposition häufig recht hart zu kämpfen, und muß daher vorsichtiger zu Werke gehen, man scheut sich auch oft, Werke, die einem ans Herz gewachsen, einer rohen, ungebildeten und pietätlosen Masse preiszugeben. Es ist dies vielleicht nicht immer richtig, das Gefühl aber gewiß begründet – durch dieses verdienen wir uns doch sicherlich nicht solch ein Mißtrauen! Du kränkst damit Deine Freunde, was Du nicht solltest, und schließlich wird man still – ich zwar noch nicht, denn ich meine immer, zureden hülfe; ich möchte Dich so gern heiterer, zufriedener wissen, und sehe doch so häufig, daß Du anderen zuschiebst, was Du in Dir selbst wenigstens teilweise zu suchen hättest. Nimm’s nicht übel, daß ich Dir dies sage – es ist ja nur sehr gut gemeint.
Von mir kann ich Dir nun eigentlich kaum Neues erzählen! Ich habe viel und meist glücklich gespielt, sonst aber, körperlich (und moralisch auch oft), die Anstrengungen recht bitter empfunden, auch regen mich die Konzerte selbst immer sehr auf und kosten mich viel Kräfte. Jetzt ruhe ich mich aber 14 Tage hier aus, ehe ich nach England gehe. Am 27. Januar spiele ich zum erstenmal in London, werde aber weniger in die Provinzen gehen – nur im Anfang (die ersten zwei Wochen) nach Edinburg, Glasgow, Bath und Torquay. Später bleibe ich in London. Sehr freue ich mich zum 3. Januar, wo wir zur Genoveva nach Karlsruhe wollen. Levi soll sie wunderschön einstudiert haben.
Ich schreibe Dir bald wieder, noch ’mal, ehe ich Deutschland verlasse. Ich weiß nicht, bist Du in Wien oder Hamburg? Vermutlich doch wohl Wien, denn Du schreibst mir, Du denkst nach Weihnachten Wien zu verlassen! – So leb’ denn wohl, mein lieber Johannes.
Denke freundlich Deiner
alten
Clara.
Adresse bis 7. Januar: Frankfurt, Ulmenstraße Nr. 3, 1. Stock.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1081-1084

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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