23.01.2024

Briefe



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ID: 23108
Geschrieben am: Sonntag 30.12.1866
 

Düsseldorf, den 30. Dezember 1866.
Ich kann doch nicht abstehen von meiner lieben alten Gewohnheit, Dir, mein lieber Johannes, einen Neujahrsgruß zu senden, darum habe ich auch meinen Dank bis heute verspart, habe ihn aber die Zeit über warm genug mit mir herumgetragen. Der Klavierauszug des Requiem hat mich innig erfreut, und habe ich schon wieder großen Genuß dabei gehabt, möchte nur immer alle Stimmen zugleich singen können – übrigens ist Dein Arrangement wunderschön, spielt sich bequem und ist doch dabei so reichhaltig. Nimm den herzlichsten Händedruck dafür.
Mit dem Bild wirst Du Dich in der Familie Schumann wohl geirrt haben – ich glaube kaum, daß meine Kinder es gern wieder hergeben werden. Sag mir doch, wo Du es her hast? Ist es nicht von Schramm? Ich kann mir gar nicht denken, wie Du zu dem Besitze desselben kamest? Schreibe mir es doch.
Wir haben hier einen stillen Weihnachten verlebt, und wurde es mir in Koblenz furchtbar schwer, nicht nach Mannheim zu gehen, wo Julie, Elise und Ludwig (Levi kam auch noch dazu) zusammen waren, aber da Rosalie es seit Monaten nicht anders wußte, als daß ich da sein würde, so konnte ich ihr jetzt die Täuschung nicht antun. Du kannst Dir wohl denken (und vielleicht tatest Du es auch) wie wir uns an das Julklapp vom vorigen Weihnachten erinnerten! Wie gern hätte ich gewußt, wo Du den Abend verbrachtest? – Erzähle mir doch auch, wie Du den Abend bei Flatz mit Frl. Kollar und Lewinsky verbrachtest? . . . .
Bei Deiner Erzählung von Lear wurde mir ganz sehnsüchtig ums Herz – ach, könnte ich ’mal wieder so ein Stück in der Burg sehen! – Wir sahen neulich vortrefflich gespielt „Was ihr wollt“, und unterhielten uns auch darüber, wie so wundervoll Shakespeares Stücke auf der Bühne wirken, wie so viel größeren Genuß man noch dabei hat, als beim Lesen.
. . . . Ich habe enorm jetzt zu tun, seit 8 Tagen trage ich tagtäglich Briefschulden ab und büffele förmlich, daß ich oft ganz elend davon bin. Jetzt will ich aber nun noch fleißig studieren bis zur Abreise. Das Requiem nehme ich natürlich mit – nächster Tage kommt Bruch und Rudorff ’mal herüber, da wollen wir es durchgehen.
Rudorff ist jetzt in Berlin – Stockhausen gab neulich ein Konzert dort mit – Scholz, der ein Quintett von sich und manches andere noch spielte, auch Auer war mit, das Konzert war aber schlecht besucht und der Beifall flau; das Publikum war ärgerlich, weil Stockhausen bei einem Eintrittspreis von 1 1/2 Tlr. nur kleine Lieder sang, und als erste Nummer die Löwenbraut statt einer Arie, etwa von Händel, was doch besser gepaßt hätte.
Solch einen Kerl aber wie den Hellmesberger muß man doch gründlich verachten, spielt er mir den infamsten Streich und kriecht dann wieder vor Dir!
Am 10. reise ich – der Himmel gebe eine glückliche Rückkehr, das ist mein steter Gedanke bei dieser Reise.
Für die ersten 6 Wochen ist meine Adresse: London, at Mr. Arthur Chappell, 50 new Bond Street.
Später teile ich Dir meine andre Adresse mit. Einstweilen soll’s mich von Herzen freuen, nützest Du diese, und hier hoffe ich noch vor meiner Abreise auf Nachricht von Dir.
Hiller erzählte mir neulich, daß die arme Gräfin Mouchanoff noch immer in Köln im Hotel krank liegt, jedoch wenigstens jetzt auf dem Wege der Besserung ist.
Mad. Viardot soll in Weimar die Sappho von Gounod singen wollen. Sie hat sich dem Großherzog angeboten, und, wie man erzählt, in einer Weise, daß er es nicht abschlagen konnte.
In Leipzig habe ich auch den jungen Rieter besucht, und als er von dem guten Geschäft sprach, daß er mit Deinen Walzern mache, da legte ich mich aufs Bitten, und ließ mir 3 Exemplare für die Kinder, die sie alle zu Weihnachten haben sollten, schenken.
Jetzt will ich aber die Bude schließen – mein Brief kommt mir nämlich wie so ’ne Silbergroschen-Bude vor, in die man nicht genug hineinhängen kann.
Sei mir aufs herzlichste gegrüßt vom alten ins neue Jahr hinein und denke zuweilen öfters an Deine
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1047-1051

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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