23.01.2024

Briefe



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ID: 23107
Geschrieben am: Samstag 22.12.1866
 

Koblenz, den 22. Dezember 1866.
Damit Du, lieber Johannes, nicht ohne Weihnachtsgruß von mir seiest, schreibe ich heute, obgleich mir gar wenig Muße bleibt, da, wie schon seit Wochen, auch heute jede Stunde des Tages besetzt ist.
Ich wollte Dir eigentlich von Leipzig aus den Tag nach dem Quartett-Abend, wo ich Dein Horntrio gespielt, schreiben, reiste aber schon andern Morgens nach Köln, kurz, es war eine Hetzjagd die ganze letzte Zeit. – Dein Trio (ich hatte es mir von Simrock erbeten) hatten wir schön einstudiert, und der Hornist war vortrefflich! Ich glaube, er hat nicht einmal gekickst, und das will doch viel sagen, freilich hatte er Ventilhorn, zum Waldhorn war er nicht zu bringen. Das Scherzo wurde am lebhaftesten applaudiert, dann aber zündete der letzte Satz, der wie aus der Pistole geschossen ging, zumeist, und wir wurden gerufen. Wären nur nicht in Leipzig die Kritiker dümmer als das Publikum und boshaft dazu! – Jetzt kenne ich auch den Esel, der Härtels über Dein 2. Sextett gesagt: „das sei ihm doch zu toll!“ Darauf schickten sie es Dir zurück. Sie werden sich schon noch ärgern und der andere sich schämen. Ich brauche ihn Dir nicht zu nennen. Über die Dummheit solcher Menschen ärgere ich mich weniger als über die Infamie, so ohne weiteres den Stab zu brechen über ein Werk, an das der Komponist seine Seelen-Kräfte gesetzt. Nun, zum Glück gelingt es nicht, und die Sache kehrt sich nur um.
Vorgestern kam mir Dein Brief mit den schönen Weihnachts-Verheißungen zu, worauf ich mich sehr freue. Nur hätte ich eine der bittern Pillen, die Du in einigen Bemerkungen daran gehängt, fortgewünscht. Ist es freundlich, wenn Du z. B. sagst, vor 14 Tagen sei Dir die Idee, mich mit Deinem Requiem zu erfreuen, lieb und natürlich erschienen, jetzt aber käme sie Dir unnütz vor. Warum denn einem die Freude trüben? Doch ich will mir denken, Du habest nicht wirklich gedacht, was Du schreibst, und mich wieder ’mal an Deinem Requiem begeistern. Du schriebst neulich, Du habest mehr Freude daran gehabt, als Du es Joachim in der Schweiz zum zweitenmal spieltest – warum? Hoffentlich finde ich es morgen in Düsseldorf.
Seit Wochen schon dachte ich, womit ich wohl Dir eine kleine Freude machen könne, und fiel auf die kürzlich erschienene Übersetzung des Byron von Gildemeister, die wundervoll sein soll, und alle, die sie kennen, entzückt. Es wird mir doch niemand den Querstrich machen, sie Dir zu schenken! Leider konnte ich es vor Weihnachten nicht mehr gebunden bekommen, und konnte mich nicht entschließen, es ungebunden zu senden. So mußt Du nun am Weihnachtsabend fürlieb nehmen mit diesem einfachen Gruße, der aber mindestens an Herzlichkeit schwer wiegt.
In Köln hatte ich einen großen Genuß. Rudorff hatte den Manfred einstudiert, und führte ihn in einem kleinen Saale vor einem eingeladenen Publikum sehr schön auf; – Dr. Bernays aus Bonn sprach vieles wunderschön, und musikalisch blieb mir nichts zu wünschen. Wendelstadt hatte sich zur Bestreitung aller Kosten erboten.
Heute hat mir Bruch, der für Deinen Gruß erwidernd dankt, mehrere neue Sachen vorgespielt, und mich durch einzelnes sehr erfreut. Eine Ballade für Sopran, Bariton und Chor „Schön Ellen“ hat mir außerordentlich gefallen, dann vieles in seinem Violin-Konzert. Mir schien in diesen heutigen Sachen ein bedeutender Fortschritt. Dann interessierte mich auch sehr ein Siegerchor nach der Schlacht von Salamis.
Von Joachim weiß ich jetzt direkt nichts, hoffe aber nun, nachdem er von seiner Pariser Reise zurückgekehrt, zu hören. Bis zum 9. Januar bleibe ich in Düsseldorf. Laß mich noch ’mal von Dir hören, ehe ich über den Kanal schiffe.
Lebe wohl, lieber Johannes! Die Wiener Freunde werden sorgen, daß Dir der Weihnacht-Abend froh verfließe. Wirst Du bald davon erzählen?
Gedenke Deiner
Clara.
Was machen die Deinigen?

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Koblenz
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1044-1047

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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