23.01.2024

Briefe



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ID: 23073
Geschrieben am: Donnerstag 13.10.1864
 

Herzliebe Clara,
Ich muß einen ruhigen Augenblick bei Nottebohm benutzen u. Dir ein freundlich Wort sagen. Ich konnte so froh reisen, das Herz war so voll Liebe u. so voll Freude daß alle die dumpfen Wolken doch geschwunden, die ihm so lange das Liebeswertheste verhüllten, es muß ein Wort gleich sagen!
Gestern Mittag kam ich hier an u. will’s durchaus treiben daß ich gleich Morgen in der eignen Wohnung sitze, mir also so lange keine Ruhe gönnen. In München mußte ich 24 Stunden bleiben, weil ich, ohne müde oder angetrunken zu sein, doch ganz den Ruf zum Abfahren überhörte. Ich sah Perfall, Schwind, v. Sahr u. Jul. Jos. Meier, Pinakothek u. alles Mögliche von Außen u. nur das Hofbräuhaus auch innen.
Das Wetter war so mild auch Nachts, daß Deine Decke im Mantelsack blieb u. jetzt auch ist es noch so mild daß ich denke Ihr macht die schönsten Gänge u. Du denkst recht vergnügt u. recht freundlich dabei an mich.
|2| Von Härtels fand ich noch keinen Brief vor, aber Du hast hoffentlich auch die Lieder noch nicht bekommen. Sonst schicke sie mir jedoch nur gleich, es macht mir weiter keine Schmerzen u. Geld habe ich ja noch.
Wenn ich Uebermorgen oder schon Morgen gemüthlich zu Haus sitze schreibe ich Dir auch gemüthlich u. vernünftig, für Heute, da N. mir tausend Beethoveniana zu zeigen hat u. ich gleich aus muß, nimm mit dem Gruß fürlieb u. höchstens kann ich noch versuchen im Auf- u. Ablaufen zu telegraphiren und
sitzen
u. schwitzen
u. lei-
men Rei-
me, schof-
le Stroph-
en; schrie-
be ich Brie-
fe <oder da> o-
der auch No-
ten, s’wär
wohl mehr
des Dankes werth.
Also:
|3| In Oos,
ging’s los,
des Nassen viel
dem Aug entfiel,
der Brahms
der nahm’s
Tuch aus der Tasch
u. Levi rasch
sofort
das Wort
dem Mund entsandt!
O Freund, kein Tand
sind Dir
u mir
Die Mägdelein
so lieb u. fein,
u. gar – fürwahr
s’ist klar u. wahr
kein Waar’ so rar
als solche Frau
wie wir sie schau-
eten
o wenn
wir jetzt der Thrän’
uns schämeten
s’wär scandalös
recht eig’ntlich bös!
Dem Brahms
dem kam’s
als käm’s
wie dem’s
wohl kommt, der nicht
es thut als dicht’t.
Und anhub beschleunigten Trab er
Im Dreiachtel-Takte wohl sprach er
dieses –
lies es:
O würdet ihr Thränen des Schmerzes
Zu Worten u. Reimen der Liebe
Kein Herz ungerühret doch bliebe.
Und nun muß genug sein des Scherzes
Denn es will nicht mehr.
|4| Jetzt muß ich wirklich in aller Eile weg, <sagte> u. muß die vierte Strophe leider so lassen, sonst wärn es am Ende ganz nette Vierzeilen für einen Canon geworden.
Also, liebste Clara leb’ wohl u. vergnügt, vergnügt daß Liebe sich doch nicht todt machen läßt; grüße die Kinder sehr u. Levi wenn er sich sehen läßt.
Schreibe durch Spina oder Wessely.
Herzlich Dein
Johannes










  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Baden-Baden
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
925-928

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7, 135
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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