23.01.2024

Briefe



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ID: 23012
Geschrieben am: Sonntag 02.09.1894
 

Liebe Clara.
Frl. Eugenie hat mir hoffentlich zugetraut, daß ich ihr gleich u. ausführlich geschrieben hätte, wenn ich über das Transponiren-lernen was zu sagen wüßte. Ich halte es aber vor Allem für Uebungs- u. Gewohnheitssache.
Wer alle Tag Sänger zu begleiten hat, wird es bald lernen. Dies möchte ich denn auch vor Allem empfehlen. Dann Walzer, leichte Haydn’sche 4 händige Sinfonieen u. derlei. Es scheint mir die Hauptsache, daß man die Sache mit Leichtigkeit u. Gewandheit traktiren |3| lernt. Es versteht sich, daß gründliche Harmoniekenntniß auch hierfür sehr nützlich ist.
(Wie man aber Jahrelang Unterricht in der Harmonielehre treiben kann, habe ich nie begriffen.[)]
Daß Du fortgesetzt m. lieben Lieder ansiehst, ist mir eine große Freude. Die ganz wenigen Fehler sind nicht der Mühe werth. Nur ein höchst ärgerlicher steht in Nr 41 u. den könntst Du Dir verbeßern. Seite 12 im 4ten System muß der 3te Takt heißen:
[Notenbeispiel] statt [Notenbeispiel]
|2| Ist Dir wohl aufgefallen, daß das letzte der Lieder in meinem opus 1 vorkommt? Ist Dir auch etwas eingefallen dabei? Es sollte eigentlich was sagen, es sollte die Schlange vorstellen, die sich in den Schwanz beißt, also symbolisch sagen: die Geschichte sei nun aus, der Kreis geschloßen.
Aber ich weiß, was gute Vorsätze sind u. denke sie nur, sage sie mir nie laut. Diesmal wollte ich gern nach dem 60ten Jahr so gescheidt sein wie vor dem 20ten. Damals konnten mich die Hamburger Verleger durchaus nicht verführen, etwas drucken zu laßen. Cranz bot vergebens alles Geld, das ich armer Junge sonst so schwer verdienen mußte. Warum eigentlich, kann ich nicht so leicht u. deutlich sagen. Mit dem 60ten nun wäre höchste Zeit aufzuhören – auch ohne besondren Grund!!
|4| Jedenfalls aber mache ich mir selbst nächstens ein Plaisir. Ich erwarte den Besuch des Clarinettisten Mühlfeld u. werde 2 Sonaten mit ihm probiren. Es ist also möglich daß wir Deinen Geburtstag musikalisch begehen (ich sage nicht: feiern!) Ich wollte Du wärst dabei, denn er bläst sehr schön. Wenn Du ein Weniges in f moll u. Es dur fantasirst – kommst Du wohl so beiläufig auf die Sonaten. Ich würde sie Dir schicken, spielen könntest Du sie sehr behaglich, aber die Clarinette muß transponirt werden u. das würde Dir allen Spaß verderben! So bin ich in diesem Brief denn auch glücklich wieder an den Anfang gerathen u. so schließe ich denn, Euch Alle herzlichst grüßend!
Ganz Dein
Johannes.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
Absendeort: Ischl
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Interlaken
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
2204ff.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus.Nachl. Schumann, K. 7,296
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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