23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 22925
Geschrieben am: Freitag 12.05.1893
 

Liebe Clara.
Von Dir Gutes zu hören war mir die größte Freude als ich nach Haus kam. Gern hätte ich auch Dir alles Schöne u. Fröhliche geschrieben das ich in Ueberfluß zu schreiben hatte. Aber in Italien komme ich nicht zum Schreiben u. hüte mich auch eigentlich davor; man liest italienische Briefe gar so schön gedruckt! Jetzt aber u. hier bin ich auch nachträglich in einen fürchterlichen Trubel gerathen u. <wenn ich> mache ich auch im Allgemeinen mit Briefen u. Depeschen kurzen Prozeß – wenn Bürgermeister, Stadt u. Universität gratuliren, muß man doch den Hut abziehen u. danken. Die Gesellschaft der Musikfreunde hat gar eine schöne goldene Medaille schlagen lassen, die Dir gewiß gefallen würde.
|2| Ich selbst merke zum Glück nichts von m. 60 Jahren – ich rechne überhaupt sehr schlecht. Auf der Reise aber war ich entschieden der Rüstigste u. Ausdauerndste, stets der Letzte zu Bett u. der Erste heraus. Und meine drei Gefährten waren viel jünger: Widmann, Hegar u. Rob. Freund, ein Pesther, höchst liebenswürdiger, gebildeter junger Mann u. Clavier-Professor in Zürich.
Unsere Reise war in jeder Beziehung vollkommen zu nennen. Das Wetter unausgesetzt <herlich> herrlich wie das Land u. die Leute. Man fährt aber durch ganz Italien wie durch den schönsten Garten, der sich nur sehr oft zum Paradies steigert. Da steigt man denn aus u. besieht sich’s näher. So wie u. A. in Neapel, Palermo, Girgenti, Syrakus, Taormina; wieder Neapel u. Venedig <zu> (ich mit Freund) zum Schluß.
|3| Nun aber, damit das „vollkommen“ menschlich werde: Gleich zu Anfang der <G> Reise verlor ich den größten Theil meines Geldes. Fröhlich meinte ich, das sei den Göttern ein Opfer u. möge ihnen genügen. Leider forderten sie mehr. Auf der Rückfahrt von Messina nach Neapel passirte Widmann ein schlimmes Malheur am Lagerraum des Dampfschiffes.
Es war ein furchtbarer Augenblick, es hing nur an einem Haar (Buchstäblich: er mit einem Fuß noch in einem Kettenring) – u. er wäre zerschmettert hinunter geworfen worden, wir hätten seiner Frau den Leichnam bringen können. So waren wir denn trotz des Beinbruches wie erlöst. Er wird mit 6 Wochen durchkommen, aber freilich, wie ängstlich für künftige Reisen sein, er u. erst seine Frau!
Jetzt aber muß ich mich nach andern Briefen umsehen u. melde nur noch:
|4| Daß der Schlußband fertig gedruckt daliegt. Sobald ich corrigirt habe, schicke ich Dir die Handschriften zurück, es war mir lieb sie noch hier zu haben. Ich bin in Versuchung Dir die kurze Vorrede zu schicken. Thue ich es nicht, so sage ich deshalb hier, daß sie nur sachlich-Nöthiges enthält, ich mich aber mit vieler Mühe enthalten habe, nicht allerlei Schwärmendes (auch Dir) darin zu sagen. Ich finde das aber an der Stelle nicht gehörig.
Die kl. Eibenschütz war Gestern da. Der junge Rottenberg ist ein netter feiner Mensch, sehr gut musikalisch u. sehr begabter Dirigent. Leider nicht stark u. gesund genug u. etwas träger oder sich gehen-laßender Natur.
Aber jetzt grüße ich nur auf das Aller-Allerherzlichste u. bitte mit dem Geplauder fürlieb zu nehmen wie mit dem ganzen
Dich liebenden
Johannes.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Frankfurt am Main
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
2109ff.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus.Nachl. Schumann, K. 7,275
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.