23.01.2024

Briefe



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ID: 22821
Geschrieben am: Dienstag 17.05.1887
 

Mai 87. Thun.
Liebe Clara,
Es ist wirklich grausam was Dir vom Schicksal zugemuthet wird. So innig theilnahmevoll ich Deiner denke: Das Einzelne mag ich mir selbst nicht klar u. deutlich vor die Augen führen, ich kann auch Dir nicht weiter davon sprechen. Neben dem so hart treffenden u. erschreckenden Schlag geht ja Anderes, ebenso Trauriges wohl seinen traurigen Weg weiter. Deine schöne Natur läßt Dich nicht unempfindlich werden gegen irgend einen Sonnenblick, den Dir das Leben oder die Kunst gönnt, das ist mir die einzige tröstliche Empfindung.
Sommerhoffs aber sage doch ein Wort von meiner ernstlichen Theilnahme.
|2| In dem herrlichen Italien habe ich auch diesmal an Niemand so viel u. mit so viel Sehnsucht denken müßen, als an Dich. Wie wünschte ich, Du mögest für diesen höchsten Genuß noch so viel Kraft haben, wie Du sie für Deine Kunst hast. Ich kenne Niemand, der so selig Alles dort genießen, vollauf genießen würde wie Du – wenn der Körper nicht widerspräche.
Ueberaus begünstigt war ich wieder durch das herrlichste, sanfteste Frühlingswetter; unsre Tour wäre für Dich zu viel gewesen, aber hättest Du die schönen Wochen etwa in Florenz zugebracht – keine schönere Freude kann dem Menschen werden!
Unsere Fahrt ging über Verona, Vicenza, Venedig, Bologna, Florenz, Pisa, Mailand u. durch den Gotthardt hierher. Nicht ein Tag, der mir nicht erfüllt war vom Schönsten. Meine Gefährten waren Simrock u. Kirchner. Von S. war es eine freundliche Idee, Kirchnern noch Italien sehn zu laßen.
|3| 20 Jahre früher <w>hätte sie auch vielleicht <auf> fruchtbaren Boden gefunden. Gefährten sind mir in I. angenehm u. fast nöthig – wenn sie auch nicht immer grade den Genuß erhöhen oder nur ungestört laßen.
Jetzt freue ich mich hier des 2ten jungen Frühlings u. fühle mich recht behaglich. Ungern denke ich, daß ich Ende Juni zum Musikfest nach Köln soll, aber ich muß wohl Wüllnern Wort halten. Und die schöne Rheinreise könnte mir gar ein lieber Gedanke werden, wenn Dir ein kurzer Besuch – es auch einigermaßen sein könnte?!
Simrock hat einen Katalog meiner Sachen herausgegeben. Wenn ich ihn Dir zugehen laße<n>, so brauche ich wohl kaum zu sagen, daß ich ihn nicht veranlaßt habe; so lange wie möglich habe ich widersprochen, verbieten aber konnte ich nicht.
|4| Bald hätte ich aber vergeßen: Es ist viel wichtiger daß meine Briefe zurück gehen als die Deinen!
Diese kannst Du immer haben – u. auch Deine Kinder – an welchen Fall ich nicht glaube<!>. Meine Briefe aber haben keine Rückadreße, wenn ich davon gehe! Deshalb bitte ich also herzlich, sende sie mir u. wenn ich bitte, sende sie bald, so ist das nicht, weil ich Eile habe sie zum Buchbinder zu bringen!
Von Frank u. Herzogenberg kommen ja trübe Nachrichten. Von Ersterem scheinen sie sehr ernsthaft, bei H. darf man wohl das Beste hoffen – ich habe leider grade hier einen ganz ähnlichen Fall bei dem allmählich alles Hoffen aufhört!
Nun aber endlich mit
herzlichen Grüßen
Dein
Johannes

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Thun
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Frankfurt am Main
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1767ff.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus.Nachl. Schumann, K. 7,196
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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