Juni 77
Liebe Clara,
Ich würde glauben Dir lange nichts so Amüsantes geschickt zu haben wie Heute – wenn Deine Finger das Vergnügen aushalten!
Die Chaconne ist mir eines der wunderbarsten, unbegreiflichsten Musikstücke. Auf ein System, für ein kleines Instrument schreibt der Mann eine ganze Welt von tiefsten Gedanken u. gewaltigsten Empfindungen. Wollte ich mir vorstellen ich hätte das Stück machen, empfangen können, ich weiß sicher die übergroße Aufregung u. Erschütterung hätte mich verrückt gemacht. Hat man nun keinen größten Geiger bei sich, so ist es wohl |3| der schönste Genuß sie sich einfach im Geist tönen zu laßen.
Aber das Stück reizt, auf alle Weise sich damit zu beschäftigen. Man will Musik auch nicht immer blos in der Luft klingen hören, Joachim ist nicht oft da, man versuchts so u. so. Was ich aber nehme, Orchester od. Clavier – mir wird der Genuß immer verdorben.
Nur auf eine Weise finde ich, schaffe ich mir einen, sehr verkleinerten, aber annähernden u. ganz reinen Genuß des Werkes – wenn ich es mit der linken Hand allein spiele! Mir fällt sogar dabei bisweilen die Geschichte vom Ei des Columbus ein! Die <Schwie> ähnliche Schwierigkeit, die Art der Technik, das Arpeggieren, alles kommt zusammen mich – wie einen Geiger zu fühlen!
|2| Versuche es doch einmal, ich habe es nur Deinetwegen aufgeschrieben. Aber: überstrenge die Hand nicht! Es verlangt gar so viel Ton u. Kraft, spiele es einstweilen mezza voce. Auch mache Dir die Griffe handlich u. bequem. Wenn es Dich nicht überanstrengt – was ich aber glaube – müßtest Du viel Spaß daran haben.
Von Groth hörst Du dort wohl?
Grüße die schöne Ostsee, den lieben Sekretair u. diktire ihr bald wieder
Für Deinen
Johannes.
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