23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 22683
Geschrieben am: Montag 21.05.1877
 

Mai 77.
Liebste Clara,
Laß mich Dir vor Allem recht dringend sagen: in solchen Sachen giebt es keine Eile!
Nie u. unter keinen Umständen laß Dich hetzen, beunruhigen oder gar übereilen! Lege Alles was Dir in der Angelegenheit kommt, mit größter Ruhe hin u. überlege u. bedenke nach Herzenslust in aller Behaglichkeit. Also genire Dich nicht, jetzt oder wann Du willst, 4 Wochen zu schweigen; schreiben sie Dir gleich von größter, nöthigster Eile. Laß Novello warten, laß Härtels warten; gieb auch „das Schweben in fortwährendem Kampfe zwischen Gefühl und Pflicht“ durchaus auf – sitze ganz behaglich auf Beiden u. thue danach. Hättest Du nun einmal Ursache zu eilen, glaubst Du, Dein vis-à-vis kümmerte sich darum wenn es ihnen nicht paßte u. sie zu überlegen wünschten?
|2| Zweitens bitte ich:
Nie u. an nichts u. niemand Andern zu denken als an die Sache und an Dich. Drittens u. nebenbei: Traue auch Keinem u. natürlich keinem Betheiligten!
Du wünschest mit Recht eine Gesammt-Ausgabe bei Härtels. Nun aber meine ich: alle andern Anerbieten sollten Dir nur dazu dienen Dir Dein Verhältnis zu Härtels klar zu machen, namentlich auch das pekuniäre. Anträge wie der von Novello – das meine ich sicher – dürfen Dir keine weitere Bedeutung haben. – Wenigstens gewiß jetzt ┌nicht┐ u. wie er vorliegt!
Solltest Du wirklich, was ich nicht hoffe o. glaube, mit Härtels auseinander kommen, so kannst Du nur in gleicher Weise an einen andern großen Verleger denken (z. B. Simrock.)
Ich glaube gewiß, auch pekuniär schadetest Du Dir wenn Du nach mehreren Seiten sähest. Von Einem kannst Du das Best-Mögliche verlangen; von Zweien sicher nicht so viel – mögen sie sich in Friede oder Zank drin theilen.
|3| Also: Laß Novello einstweilen zappeln, Du wärst noch nicht einig mit Dir, wolltest in Ruhe überlegen, müßtest jetzt jedenfalls erst den Sommer genießen.
Ihr Nachsatz von „Eigenthum für alle Länder“ ist nämlich höchst heimtückisch <u. ich> u. muß Dich ja ungeheuer vorsichtig machen!!
Bei Härtels aber gehe mit allem Ernste aber langsam u. bedächtig voran.
Daß sie ihre Arbeiter gern schlecht bezahlen u. sehr ängstlich u. argwöhnisch im Umgang mit ihnen sind, wissen wir Alle u. längst. Aber es ist doch ein schönes Geschäft u. ein großartiger Zug geht einmal immer durch das Haus! Erwarte keine Noblesse, sei vorsichtig, daß Du nicht zu viel schenkst. Zunächst meine ich, Härtels sollten aufstellen lassen wie viel Platten zu Schumanns sämmtl. Werken gehören. Du schreibst ihnen nämlich immer nur von Deinem Interesse für die Sache u. daß Du bedenkest was u. wie Du was thun willst) Hast Du die Berechnung der Platten so kannst Du danach – langsam – Deine Forderung bedenken. Du kannst dann vergleichen wie die Redaktion bei Mozarts u. Beethovens |4| Werken bezahlt wird (Plattenweise.) Ich könnte wohl fortschwatzen, aber meine Absicht bleibt immer dieselbe. Ich möchte Dich dahin bringen die ganze Sache mit aller Ruhe anzusehen u. zu betreiben.
Nur Eines (eine wirkliche Gesammt-Ausgabe) im Auge zu haben u. danach ganz einseitig u. ruhig <f> vorgehen. Einstweilen aber nichts über Bord werfen was Dich doch nicht genirt sondern vielleicht in irgend welcher Hinsicht nützen kann. An sich aber sollte nicht Anderes für Dich Bedeutung haben. Ich kann unmöglich glauben daß Du mit mehreren Verlegern fertig würdest; in jeder Beziehung müßte Schaden daraus erwachsen.
Nun noch 2 Worte über m Geld-Angelegenheit. Das Geld haben nämlich Faber hier u. Lindeck in Mannheim je zur Hälfte <in S> einfach in Verwahrung. Lindeck hat einen Blechkasten, in dem die mir gehörenden Papiere liegen. Er schickt Neujahr immer die Abrechnung, die ich immer unterschreibe – ohne natürlich eine Silbe zu lesen oder zu verstehen. Ebenso Faber. Nun meine ich aber, man soll ja einmal |5| in dieser Sache seinem besten Freund u. Bruder nicht trauen?!
Mendelssohn möchte ich übrigens nicht bemühen – auch nicht Ferdinand. Ich denke doch Alles einfach Simrock auftragen zu können?
Aber ein schlimmer Brief wird es wenn ich Lindeck seine Verwalter-Stelle kündige. Oder meinst Du daß ich es gehen lassen soll? <Ha> War Dein Verhältniß zu Wendelstadt anders? Hatte der nicht einfach Papiere in Verwahrung? Durfte der Geschäfte mit Deinem Geld machen?
Ich habe ja nichts gegen Lindeck u. s. w. Ich möchte doch nicht gern eines Tags – irgend was erlebt haben? –
Aber m. jetzigen Honorare thäte ich doch wohl am Besten in den bezeichneten Papieren anlegen u. durch Simrock in jene Bank besorgen zu lassen? (Mit dem Geschäft Ladenburg habe ich nichts zu thun, Lindeck hat ganz privatim die Gefälligkeit.[)]
|6| Wegen Chopin erinnere ich nochmal u. meine Du solltest wirklich Dich betheiligen, die besten Sachen aussuchen. Laß Dir von Härtels schreiben, welche Handschriften sie haben, das macht die Arbeit viel sicherer u. leichter u. in dem Fall kann man Plaisir haben.
Frau Stockhausen hat mir einen Brief noch geschrieben – der ächt war! Auf dem großen Couvert stand groß: J. B. Componist von Gottes Gnaden – daß ich den Brief in den hintersten Winkel warf u. nach Stunden erst aufnahm!
Ich weiß nicht ob ich nächstens nach Zürich gehe. Ich denke vielleicht erst einmal nach Kärnten an den Wörther See zu gehen – ein Stück neue Welt sehen.
Aber nun lebe wohl, meinen guten Willen siehst Du hoffentlich dem Geschwätz an. Grüße Marie sehr u. halte lieb
Deinen
Johannes.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Berlin
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1370-1373

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus.Nachl. Schumann, K. 7,156
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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