23.01.2024

Briefe



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ID: 22675
Geschrieben am: Dienstag 04.04.1876
 

London, den 4. April 1876.
14 Hyde Park Gate.
Liebster Johannes,
ich habe Dir lange nicht geschrieben – durfte nicht schreiben wegen meines Armes, aber heute läßt es mir doch nicht Ruhe, ich muß Dir mitteilen, was mich gestern sehr froh gemacht hat. Wir haben Dein Quintett in F moll gespielt und einen ganz riesigen Erfolg damit gehabt; mit jedem Satze steigerte sich der Enthusiasmus, und nach dem Schlusse wurden wir unter Hurra-Geschrei gerufen. Daß wir nicht wenig begeistert gespielt, kannst Du Dir denken! Ich dachte, weiß ich gleich, daß Du nicht viel Freude hast, Deine Sachen von andern zu hören, Du hättest doch ein Behagen empfunden. Ich war von der Tiefinnigkeit und Sinnigkeit, der Glut der Empfindung dieses Stückes wieder ganz hingerissen – es ist ein wunderbar ergreifendes Werk! –
Ich habe noch eine Woche Engagements, dann bin ich fertig, habe dann im ganzen nur 9 mal gespielt. Es ist mir alles sehr geglückt, aber ich mußte enorm vorsichtig sein, lebte ganz still, diktierte alles, dies auch der Grund, daß Du nicht von mir hörtest, denn Du weißt, ich diktiere zu ungern an Dich. Ich bereue aber nicht, hierher gegangen zu sein, denn nie im Leben habe ich eine herzlichere Aufnahme empfunden, als dieses Jahr hier, und da ich wenig auf einmal und immer in längeren Zwischenräumen spielte, fühlte ich mich stets frisch und begeistert, wie kaum jemals mehr.
Ich schreibe Dir wieder, wenn ich fort bin – wahrscheinlich gehe ich in 10–12 Tagen, bleibe in Brüssel 2 Tage, ebenso in Düsseldorf, und denke, hoffe in der dritten Woche des April wieder in Berlin zu sein. Es würde mich sehr freuen, hörte ich ’mal von Dir – wie lange ist’s seit Deinem letzten Briefe! Wohl war es meine Schuld, daß ich nicht schrieb, aber wie gesagt, ich durfte nicht und hätte es auch heute nicht gesollt, mußte aber.
So sei denn aufs herzlichste gegrüßt von Deiner immer alten treuen
Clara.
Marie grüßt sehr – wie hat sie sich gestern auch gefreut!
Herr Burnand bittet, Dich seines Respekts zu versichern.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: London
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1311f.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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