Berlin, den 22. Dezember 1873.
Liebster Johannes,
heute gibt es nur einen Weihnachtsgruß, der Dich heiter und wohlgemut treffen möge. Du wirst, wie immer, von Aufmerksamkeiten überschüttet werden! Ich kenne leider keinen Deiner Wünsche, dessen Befriedigung mir größte Freude wäre, was aber das Herz einer Freundin an liebenden Gedanken und Wünschen spenden kann, das fließt aus dem meinen Dir zu, und so soll’s bleiben. – Gern wüßte ich Dich am Weihnachtsabend zu finden, aber wo in dem großen Wien! Vielleicht bist Du doch bei Ebners? Dann grüße sie. Ich bin begierig auf Nachricht von Dir über Leipzig u. a. m. Hast Du Hillers Briefe (d. h. Mendelssohns an ihn) gelesen? Da hat mich manches doch so gar lebhaft wieder an ihn erinnert. Er hat den Hiller recht lieb gehabt, das erkennt man aus jedem der Briefe.
In München ist leider die Cholera wieder so stark, weit bösartiger als zuvor! Wenn nur Levi vorsichtig ist! –
Deine Variationen haben neulich im Odeon sehr gefallen, obgleich die Stimmung im Saale eine unheimlich gedrückte war, und sogar einige während des Konzertes hinausgetragen wurden.
Ich hoffe, ich höre sie nächstens in der Hochschule ’mal! Es sollen nun Bläser hinzugezogen werden – Joachim hatte wieder allerlei Unangenehmes deshalb! Eckert und Radecke weigerten die Kapellmitglieder, nun will J. selbst Bläser anstellen, und jetzt schwebt diese Frage.
Die Kinder grüßen, freuen sich auf Weihnachten. Für mich mischen sich der Gedanken gar zu viel traurige mit hinein, und das kann ja nicht anders sein, wenn man so viel Liebes schon begraben hat! –
Leb’ wohl! Behalte lieb
Deine Clara.
Wie gefällt Dir Frl. Essipoffs Spiel?
Emma Brandes ist mit Professor Engelmann in Utrecht verlobt – ich freue mich sehr.
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