23.01.2024

Briefe



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ID: 22653
Geschrieben am: Donnerstag 04.09.1873
 

Baden, den 4. September 1873.
Lieber Johannes,
hab’ Dank für Deinen lieben Brief. Kam er auch später, als ich gehofft hatte, so klang er mir doch mild und wohltuend ins Herz hinein, und gern mag ich Dir erwidern, daß auch in mir der schöne Beschluß des Festes, Dein Besuch, nachklingen soll. Ich hatte übrigens recht trübselige Tage nach Deiner Abreise; das Regenlied ging mir Tag und Nacht nicht aus dem Sinn, die Melodie hat aber für mich etwas unsäglich Trauriges und machte mich ganz melancholisch, bis ich mich endlich durch ordentliche Arbeit herausriß. Überhaupt aber lag mir all das Schöne, das Du gebracht, tief im Sinn, und wie gern wäre ich am Montag stille, aber gewiß dankbare Zuhörerin! Levi schrieb mir, daß Deine Quartette dann gespielt werden. Er schreibt, Du seiest fleißig, verrät mir aber nichts! –
Von uns läßt sich wenig erzählen – wir leben eben so, wie Du es kennst, nur neulich am 2. September gab’s mal viel Bewegung! Die Kinder hatten sich mit Elisabeth Schwarz ein kleines Stück von Körner „Der Nachtwächter“ einstudiert, da wurde denn das kleine Zimmer neben meinem als Bühne hergerichtet, und es ging dann allerliebst . . . . Sie spielten alle überraschend hübsch, und Felix hatte einen allerliebsten Prolog gemacht, den er selbst vortrug. Eugenie machte den alten Nachtwächter – das war sehr zum Erheitern, auch Marie als schüchterner verliebter Student! Ich möchte, ich hätte die heitere Stimmung dieses Abends festhalten können, aber es ging nicht, ich fühlte mich sehr angegriffen und immer voll trüber Gedanken. Es ist auch so gar viel jetzt, was auf mich einstürmt. Wenn ich ’mal entschlossen bin, Baden aufzugeben, dann kommt sicher einer, der entzückt ist über Baden und mein Häuschen! Neulich besuchte mich Lübke und äußerte, als ich ihm auf sein Entzücken über mein Haus sagte, daß ich leider mit dem Gedanken umgehe, es zu verkaufen, „den Mut hätte ich nicht!“ Ist das nun wohl ermutigend? Mit Berlin können wir uns auch noch immer nicht entschließen! Betty schrieb uns neulich, Felix könne in Wien ebensogut studieren als in Berlin, dann werde es nächsten Winter dort viel billiger sein als früher, sie wisse ein schönes Logis möbliert für uns in der Elisabethstraße, wolle sonst alles, was sie tun könne, uns das Leben angenehm zu machen etc. etc. Wir haben doch eigentlich in Wien viel mehr angenehme Bekannte, für die Kinder wäre geselliger Verkehr dort leichter als in Berlin. Musikalische, künstlerische Anregung hätte ich auch in Wien mehr! Schöne Orchesterkonzerte, Theater und so manches. Ach, hülfe mir jemand und sagte mir „das tue!“
An die Lieder bin ich noch nicht wieder gegangen, hatte so viel anderes zu tun, nun aber muß ich, was geht, abschreiben lassen, und selbst noch einige dazu abschreiben als „Sonnenschein“ etc. – Ich will, wie Du es rätst, mit leichterem Sinne wieder daran gehen – ob mir’s gelingt? Später schicke ich sie Dir noch ’mal, im voraus dankend, wie ich es noch ’mal tue dafür, daß Du sie hier mit mir durchgesehen.
Hast Du wohl einen Aufsatz über Robert von Dr. Richarz gelesen? Obgleich traurigen Inhalts, war er mir doch sehr interessant, und fühlte ich darin eine Wärme und Zartheit, die ich Richarz nie zugetraut hätte.
Bist Du auch recht vorsichtig, lieber Johannes? Du gehst doch nicht zu viel nach München? Die Cholera soll doch sehr arg dort sein. Wenn sie nicht ganz geschwunden, gehe ich doch nicht hin. Sage mir, wenn Du mir wieder schreibst – laß es bald sein –, wie es damit in München steht. Sage mir auch, bitte, wie Dir die Quartetten jetzt behagt haben – sie haben sie doch gewiß gut einstudiert?
Ich muß schließen.
Sei gegrüßt von ganzem Herzen
von Deiner
alten
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Tutzing
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1233-1236

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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