23.01.2024

Briefe



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ID: 22642
Geschrieben am: Mittwoch 24.02.1858
 

Mittwoch 24 Febr. 58.
Herzliebe Clara,
Ich darf nicht warten bis es was zu antworten giebt, Dein kranker Arm u. wahrsch. schon wieder die Concerthetze müssen mich Geduld lehren.
Zur Aufheiterung wollte ich Dir eine kleine Musikgeschichte von hier erzählen. Das Schubertsche Duo liegt schon wieder bei mir u. wird nicht gemacht! Grund sagte mir am Clavier möchte er das Werk gar nicht aber die Instrumentation |2| sei schön. Das Werk langweilig u. unmelodiös.
Sie haben es neulich einmal probirt u. nachdem d. Concertmeister Lindenau u. die Uebrigen das Urtheil bestätigten, das Werk bei Seite gelegt.
Sind keine Melodien drin!
Ist langweilig!
Ottens Concert war nicht schön. Die Schubertsche Sinfonie wurde schlecht abgehetzt, die Ouv. zur Braut von M. noch ärger. Ein sehr langweiliges Concert von Spohr u. ein noch ärgeres von |3| Bott selber erquickten auch nicht. Die Sängerin ging an.
Zum Schluß war die Robespierre-Ouv. Die Partitur lag aufgeschlagen auf dem Pult. Otten guckt hinein, nimmt sie, hebt sie empor, schlägt’s Buch zu u. giebt’s Böie, der ihn verwundert ansieht. Dann breitet Otten beide Schwingen aus und – in seinem Kopfe hat er all die schönen Sprüche die sein Zauberstab jetzt dem Orchester entlockte.
Ich habe Otten noch nicht wieder gesehen muß mich aber doch entschließen einmal hinausgehn◊1 wogegen |4| er sich freilich auch hätte entschließen können mir ein Wort des Dankes für m. Spiel in seiner Lumpen-Soiree zu sagen.
Nächstens führt Böie die Rose mit Orchester auf.
Die Apel hat jetzt ihr Bild bekommen u. mir gezeigt. Ich finde es merkwürdig. Es sind ihre Gesichtsformen aber <s> es sieht so anders aus wie sie daß ich es nicht für ihr Portrait gehalten hätte.
Was an Fleisch zu sehen, scheint gut geworden. Aber obgleich ich sie nicht so weit nackt sah, behaupte |5| ich doch, das sind nicht ihre Arme etc. <Das> ┌Die des┐ Bildes sehn doch ungefähr stattlich wie bei einer Dame aus, wogegen sie gewiß in jenem Zustand wie ein dickliches, dreistes Bürgermädchen aussieht. Es müßte mich denn Alles täuschen.
Wundere Dich nie liebe Clara daß ich nicht von meinem Arbeiten schreibe. Ich mag u. kann das nicht. <Ich> Ihr, besonders Du denkt Euch mich, wie ich glaube immer anders als ich bin. Ich bin nie oder ganz selten nur etwas zufrieden mit mir. Wohl nie behaglich sondern |6| wechselnd vergnügt oder finster gestimmt. Ich habe aber so wenig Lust u. Anlage über meinen Mangel an Genie u. Geschick zu Andern zu lamentiren daß ich ganz von selbst immer anders aussehe. Dazu kommt daß die Freude die ich Andern u. gar Dir z. B. ┌zuweilen┐ mache mich so glücklich macht daß man mirs ansieht u. meint ich sei für mich selbst so heiter u. siegesgewiß. O daß man nicht in sich hinein sehen kann u. wißen wie viel Göttlichkeit man in sich hat!
|7| Kommt nicht etwa Deine Freundin List jetzt zu Dir? Sonst muß Dir doch der Abgang der Jungé sehr traurig sein. Schreibe mir wies mit Deinem Arm geht. Erfahre auch daß ich schon mehrere Wochen einen schlimmen Finger habe, den ich durch Verabsäumung von salbiren u. durch nicht zu bändigendes spielen mir noch lange zu erhalten gedenke.
Es ist nämlich eine Ritze, von Frost u. Hitze wahrsch. gemeinschaftlich bearbeitet.
Lebe wohl geliebtestes Wesen, schreibe mir u. von Dir, viel viel von Dir.
Dein Johannes.
Alle grüßen Dich.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Lausanne
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
550-553

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,101
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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