23.01.2024

Briefe



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ID: 22628
Geschrieben am: Montag 01.04.1872
 

Oster-Montag 72.
Meine geliebte Clara,
Feste verlebe ich immer recht einsam, ganz allein, mit wenigen Theuren auf meinem Zimmer u. sehr ruhig – wasmaaßen die Wenigen ja todt oder fern sind. Wie wohl ist mir dann wenn ich wollüstig empfinde wie die Liebe eine Menschenbrust ausfüllt. Ich bin zu abhängig von der Außenwelt; der Wirrwarr in dem man lebt – ich lache nicht dazu, ich lüge nicht mit – aber es ist als ob das Beste sich verschließen könnte u. nur der halbe Mensch noch träumend fortginge.
Wie glücklich bist Du, oder sage ich |2| wie schön, wie gut, wie recht.
Ich meine Du trägst Dein Herz als viel sichern Besitz – wir müßen es alle Augenblick verstecken.
Du siehst alles so warm u. so schön ruhig – so recht aus Dir heraus an, u. giebst denn auch ruhig ┌jedem┐ was ihm <beb> gebührt. – Das klingt Alles so dumm u. ich kann’s auch nicht sagen, höchstens noch dümmer von Lilien u. Engeln reden – u. dann auf Dich u. Dein Gemüth kommen.
Um aber auf die Erde hinab zu steigen auf die meine Feder gehört: ich las neulich Deine erste Briefseite u. wußte absolut ┌nicht┐ wo mir der Kopf stand. Ich hatte nämlich mit keinem Gedanken an Stuttgart gedacht, |3| auch kam ich nicht darauf! Zufällig war aber ein Brief von Lübcke mit gekommen u. dann sah ich mir auf Deinem Couvert die Wanderung an, die der Brief gemacht. Das Requiem soll dort übrigens sehr gut gegangen sein u. ganz ausnahmsweise Einnahme gebracht haben. Ebenso in München u. von Breslau schreibt mir Scholz ganz begeistert über R. u. Schicksalslied.
Ich habe den Winter über ganz energisch contrapunktische Studien gemacht! Wozu? Meine schönen Sachen mir besser heruntermachen zu können, dazu war’s nicht nöthig. Professor an der Hochschule werden, auch nicht. Besser Notenschreiben lernen – auch das hoffe ich nicht. Aber etwas tragisch ist es doch wenn man gar schließlich klüger wird als man’s brauchen kann.
Du weißt nun gar nicht u. hast auch |4| wie mir scheint, kein Verständniß, kein Interesse dafür wie confus es bei uns aussieht! (Ich rede oder denke nicht an Wagner.)
Große Freude hatte ich daß Felix Dir so große gemacht!
Ueber die Serenade laß nur in’s grüne Buch schreiben was Du meinst, mehr weiß ich auch nicht. Zuerst aufgeführt wurde sie jawohl unter J. in Hannover. Du aber erinnerst unsre private allererste, wozu Grimm, Bargiel, ich die Stimmen schrieben u. Harzer Musikanten bei Ritmüller herum lagen.
Hoffentlich genießen wir das Grünen u. Blühen in Baden zusammen. Aber ich höre nicht ob Du u. Joachim denn <zus> zugesagt haben für Carlsruhe!
Recht von Herzen grüße ich Dich. Und grüße auch Marie, Joachim u. Deine freundlichen Wirthe. Ganz Dein
Johannes

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: London
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1208-1211

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus.Nachl. Schumann, K. 7,148
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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