23.01.2024

Briefe



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ID: 22626
Geschrieben am: Mittwoch 21.02.1872
 

London, den 21. Februar 1872.
Lieber Johannes,
wie traurig, daß Du nun auch den Vater begraben mußtest, wobei wenigstens Du den einen Trost hast, daß Du ihm selbst die Augen zudrücken durftest, und daß er beglückend Deine Nähe gefühlt! Sehr freute mich, was Du mir über die Frau schriebst – ach, hätte er doch das Glück des Zusammenlebens mit ihr länger noch genießen können. Wie traurig das mit dem Sohn! Du hattest es mir nicht geschrieben. Was fehlt ihm? Wie hast Du nun in Hamburg alles geordnet? Hast Du Deine Bücher etc. mit nach Wien genommen? Sage mir bald ein Weiteres! Weiß ich doch nicht ’mal, ob diese Zeilen Dich in Wien treffen. Ich hatte nicht geglaubt, daß Du erst wieder dorthin zurückgingest, da Du doch Palmsonntag in Karlsruhe sein willst.
Du erhältst inliegend einen Schein von Novello, der die Gavotte für 20 ₤ gekauft – mehr konnte ich nicht erlangen, da er entgegnete, daß andere Arrangements kommen würden, was ihm doch Eintrag täte, dazu kommt, daß die Gavotte von Senff in großer Masse schon herkam. Die Leute waren außer sich vor Entzücken darüber. Hallé hatte sie in Manchester schon gespielt – hier noch nicht, das würde mir sehr arg gewesen sein. Also unterschreibe Deinen Namen, aber so, daß die Schrift durch die 1-Pence-Marke geht, die Du unten daran siehst. Ich habe ein Kreuzchen dahin gemacht, wo Du durchschreiben mußt, weil nur dann die Unterschrift gültig ist. Ich lege Dir die 20 ₤ in einer Bank-Post-Bill bei, wie sie Dir jeder Bankier auszahlt. Es tut mir sehr leid, daß ich nicht mehr bekam, aber – ich erzähle Dir später mein Gespräch mit Novello.
. . . . Von mir kann ich Dir wohl Gutes sagen insoweit, als die Aufnahme enthusiastisch ist, die Leute behaupten, ich habe nie so gespielt etc.: aber, ich leide furchtbar an Rheumatismus in den Arm- und keln, so daß ich mit wahrer Angst von einem Engagement zum andern blicke. Obgleich ich alles . übe, so bin ich doch in einer Stunde aufs äußerste ermüdet – natürlich, der Rheumatismus setzt sich in die am meisten angestrengten Glieder.
Gestern hatte ich einen Schreck durch eine Äußerung Joachims, daß ich vom 1. Oktober ab in Berlin sein müßte, daher keine Pläne für die Zeit machen könne (ich hatte dies eben getan, er noch nicht über die Sache mit mir gesprochen, und ich glaubte sie abgetan). Ich schlief diese ganze Nacht nicht – ich glaube, nehme ich es an, macht mich die Geschichte todunglücklich! – Ich überlegte die ganze Nacht, ob ich ihm schreiben solle, daß er nicht mehr davon sprechen solle, daß ich fühle, ich könne nicht! Man will sich aber auch keiner Übereilung schuldig machen.
Ich darf eigentlich gar nicht schreiben, schließe daher auch, obgleich ich noch manches zu sagen hätte.
Ich wüßte gern Deine Adresse – die Musikalien-Handlungs-Adressen sind mir unbehaglich, weil oft Briefe verloren gehen durch Dritte.
Sei mir herzlichst gegrüßt, mein lieber Johannes, und gedenke Deiner
altgetreuen
Clara.
. . . . Hast Du Rubinsteins Don-Quichotes-Musik (Humoreske) gehört? Da hört doch alles auf, aber schade, Phantasie hat doch der Mensch! . . . .
Joachim ist sehr entzückt von Rußland, hätte sehr viel noch verdienen können, wenn er nicht zurückgemußt hätte. Ich sagte es ihm voraus, daß es sehr unbequem werden würde, mitten drinnen fort zu müssen. . . . . Noch einen Händedruck, addio!

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: London
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1202-1205

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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