Dienstag früh
Herzliebe Clara,
Nun bin ich in Hamburg und der erste Morgen soll Ihnen gewidmet sein. Von Leipzig u. von der Reise will ich Ihnen erzählen, dann Ihnen die Bücher einpacken, ein gehaltreicherer Gruß.
<Ich> Erst im letzten Brief in L. wünschten Sie bestimmt P. u. V. ich hätte es von da schicken sollen, doch habe ich mich immer besonnen. Jetzt lege ich noch einen Roman bei, den ich von Joachim mit auf die Reise bekam. Er hat immer viel solcher Sachen, die er selbst meist lange nicht liest. Charlotte Ackermann ist meine schöne Landmännin gewesen, ihr Schicksal ist so ergreifend, es muß Sie interressiren. Traurig ist es,<s>Sie werden viel weinen, fürchten Sie das, so <tr> warten Sie mit dem Lesen bis Ddf.
Es mag etwas weitläufig geschrieben sein, mir fiel auch unangenehm auf, wie der Dichter erst seine Personen handeln u. denken läßt u. hernach seine Betrachtungen u. Erklärungen darüber macht.
|2| Gyges u. s. Ring habe ich gelesen. Ich freue mich immer über die schöne Sprache Hebbels. Alles an ihm finde ich freilich anders als an H. Gr.; an dem, seinem ganzen Styl u. Allem glaube ich immer den blasirten Berliner zu kennen. Ich <> empfinde nie recht warm dabei, es stößt mich fast Alles ab sogar.
Paul u. Virginie ist ein erquickendes Buch. Das lesen Sie auf der Reise. Man kann sich bei jeder Scene denken, man sei selbst P. oder V. u. der od. Du die andre u. fühlt dann immer solche Wonne. Das ist das Wahre! wenn man selig ist in dem Gedanken (Traum) selbst die Wonne, den Schmerz zu leben.
Was Sie mir von M. Seebach erzählten hat mich sehr interressirt, wie Sie denken können. Das mit den Kränzen namentlich. Den Haideknaben möchte ich hören, den liebe ich sehr, am meisten von den dreien. Ich denke mir auch den Zusammenklang schön.
Den Don Juan habe ich von David bekommen, großes Entzücken darüber! Von einem Andern 40 Variationen vom Erzherzog Rudolf (R. E. H.) über ein Thema von Beethoven (der Merkwürdigkeit wegen!)
|3| <He[?]> Hanslick ist auch mus. Schriftsteller. Sein Buch „vom musikalisch Schönen“, wofür Sahr schwärmt, <so> wollte ich lesen, fand aber gleich beim Durchsehen so viel Dummes, daß ich’s ließ. Auf die arr. Violin-Sonaten v. Bach freue ich mich auch grade nicht.
Der Abend bei Frege wurde wohl eine förmlich raffinirte Rache ┌für so manche langweilige Stunde in L.┐ Ich spielte erst das Trio von Bargiel, wo grade das Finale u. sonderlich das Thema ganz verketzert, namentlich von Fr. Frege, u. mir ist es das einzig Eigenthümliche u. Liebe am ganzen Trio.
Dann aber spielte ich mit David die hebr. Gesänge u. die Variat. v. Joachim, die dann allmählig eine enorme Entrüstung, Langeweile u. alles mögliche hervorriefen; Bei <H> Allen ohne Ausnahme.
Dann sang (vorher) die Frege Lieder von mir u. Ihnen. Mich interressirt nun Liedersingen nur in höchst mäßiger Weise. Gefreut habe ich mich nur, wie sie Ihr Volkslied in a sang. Mein Bestes (das erste) sang sie nicht sonderlich, u. die andern liegen mir sehr fern. David war der Einzige, mit dem ich weitläufig über J. J. sprach. Wenn J. sich entwickelt, wie ich’s denke u. wünsche, hört sein Grübeln u. Selbstquälen dadurch auf, daß ihn einmal Andre quälen, dann werden all die Leute die |4| jetzigen Sachen in 10 Jahren mehr beschwärmen, als ich jetzt u. jemals. In J. ist mehr, als in ┌uns┐ allen jungen Leuten zusammen, das muß ja doch werden!
Über Genchens Kopfwunde habe ich Ihnen Nichts geschrieben, weil ich dachte, Bertha würd’ es wohl schlimm genug machen. Es war gar nicht gefährlich, wenn <S>sie nur keine Narbe in ihrem hübschen Gesichtchen behält, des kann ich sie freilich nicht heirathen, dann bindet mich nichts!
Gestern Abend um 9 kam ich hier an. Alle grüßen Sie herzlichst.
Frl. Nettchen soll mir keine Recensionen schicken, lieber Frl. Leser Dergleichen. Grüßen Sie sie.
Jetzt kann ich doch wieder Ihre Briefe u. Ihr Bild in Ruhe besehen, das konnte ich in L. selten.
Sei tausendmal gegrüßt, meine allertheuerste Clara, bleibe mir gut, wie ich Dir. Schreibe mir immer so lieb u. recht viel u. ausführlich wie Du Dich befindest.
Dein treuer Johannes.
An Frau
Clara Schumann
in
Wien
Spiegelgasse, in der
Turnerschen Weinhandlung 3 Tr.
bei Fr. v. Eisenstein.
frei.
Hierbei ein Paquet,
Bücher enthaltend,
gez. F. C. S. #54.
in grauem Papier.
[Beilage 1: Bernardin de Saint-Pierre, Paul und Virginie, Pforzheim 1840 mit Widmung]
Der theuren
Clara Schumann
für die Wiener Reise
und bald und länger
für Düsseldorf.
Johannes.
Januar 1856.
[Beilage 2: E. T. A. Hoffmann, Lebensansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Kreisler, Berlin 1855]
Der theuren Clara
vom
jungen Kreisler.
16. Jan. 56.