23.01.2024

Briefe



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ID: 22576
Geschrieben am: Dienstag 06.11.1855
 

Dienstag d. 6ten Nov 55.
Meine geliebte Clara,
Wie viel Schönes hören Sie doch u. lassen Sie selbst erklingen, ich möchte Sie drum beneiden! Idomeneo, die 8te Sinfonie u. wie Vieles noch!
Grade so wie Sie schrieben, hatte ich gewußt das [sic] Berlioz Flucht nach Egypten Eindruck auf Sie machen würde.
Man ist jedoch wohl zu leicht geneigt, solche Einfachheit gesucht u. kokett zu nennen bei Jemandem der sonst so die Ohren mitnimmt wie Berlioz.
Ich habe es mehrmal gehört u. es |2| doch immer reizenden Eindruck auf mich gemacht, es ist mir eigentlich das <Liebste> was ich am liebsten höre von Berlioz Werken.
Nun bittet Otten sehr, Joachim möge ihm doch eine Antwort geben –
Zu spät, eben kommt ein Brief von Jussuf mit der abschlägigen Antwort, recht leid thuts mir um Otten doch freue ich mich daß er endlich weiß, daß J. nicht kann.
Nun schreibt Jussuf von Plänen die Sie mir mittheilen u. ich sitze hier u. warte u. will mich recht selig freun an Ihren lieben Worten[,] dem Shakespeare u. dann kommen Pläne zu überlegen mit!
|3| So lange will ich Ihnen von Hbg erzählen; hier geht’s einförmiger zu als in Berlin, gehört od gesehn habe ich noch nichts weil nichts zu hören u. sehen war. Sonntag war ich bei Otten zu Tisch.
Nun gehts mir so komisch, wenn ich zu wohlhabenden Leuten, Sonntags, auf besondere Einladung gehe, dann denke ich doch den Nachmittag bisweilen daran was es wohl giebt u. esse um 12 Uhr wenig u. wenns dann nur so wenig giebt wie bei Otten dann werde ich nicht satt, obgleich ich gar nicht hungrig hinging.
Hernach wurde auch musicirt, Bach, Beethoven, Schubert, Schumann (Carnaval) u. recht vergnügt. Ein Schwager Otten’s sang recht musikalisch die Lieder des Harfners.
|4| Am Morgen war ich bei Petit-Petersen, wieder Unglück; als wir lange genug dies u. auch jenes, auch wieder dies gesprochen hatten u. ich anrücken wollte mit der Soiree da kam Besuch u. Alles war vorbei.
Gestern spielte ich Hrn. Marxsen vor u. war recht glücklich daß er so zufrieden war, so durchaus. Sehr viel spielte ich ihm vor, auch die Variationen von Bach.
In Ihrem Concert hätte ich sein mögen! Wie schön muß das gewesen sein; mir geht’s ganz gewiß nicht so gut als Spieler. Sie sollen sehn, ich falle durch!
Frl. Leser grüßen Sie doch ja immer recht herzlich von mir in Ihren Briefen. So auch Ihren Bruder, Ihre Mutter Julchen etc. etc.
|5| Hab’ ich doch nicht umsonst gewartet, Shakespeare ist gekommen!
Sie können denken welche Freude ich hatte über das ungeheure Buch.
Vater treibt jedoch jetzt u. hat schon den Hut auf um in die Probe zu gehn. Ich will gern daß er den Brief mitnehme also nur ganz schnell den innigsten Dank
u. Gruß u. Kuß.
Könnte ich Ihnen wieder eine Freude machen! Die Lorgnette ist reizend nur fürchte ich nicht für mich gut; sie ist so lang, ich werde sie bald zerbrochen haben.
|6| Ich will Ihnen bald mehr schreiben, doch – ich weiß Morgen nicht mehr wie Heute, ich kann Ihnen nur schreiben wie ich Sie so lieb habe u. mich täglich mehr nach Ihnen sehne. Ihr Bild war das erste was ich durch das neue Glas besah.
Leben Sie wohl
Mit liebevollstem Gruß
Ihr
Johannes.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort: Berlin
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
419-422

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,67
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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