23.01.2024

Briefe



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ID: 22467
Geschrieben am: Freitag 23.02.1855 bis: 24.02.1855
 

Meine geliebteste Freundin,
dachte ich’s doch, daß ich Heute Abend so viel des Schönsten zu erzählen haben würde, daß ich nicht den Anfang finden könnte.
Ich war von 2 bis 6 Uhr bei Ihrem geliebten Mann, sähen Sie doch mein seliges Gesicht, dann wüßten Sie mehr, als nach meinem Brief.
Er empfing mich so warm u. freudig wie das erste Mal, nur folgte nicht die Aufregung wie damals. Dann zeigte er mir gleich Ihren letzten Brief u. sagte |2| mir, wie sehr u. wie schön Sie Ihn überrascht hätten. Wir sprachen lang über Ihre Reisen. Ich erzählte ihm, daß ich Sie in Hbg. Hann Lübeck u. gar in Rotterdam gesehen. Er frug dann besonders, ob Sie in Holland dieselben Zimmer bewohnt wie im vorigen Winter? Ich sagte ihm, weshalb Sie es meistens vermieden hätten, was er natürlich fand. Ueber die schönen Bach-Beethoven-Schumann-Programme freute er sich sehr.
Dann holte ich Ihm Ihr Bild.
O <S>hätten Sie seine tiefe Rührung gesehen, wie ihm fast die Thränen in den Augen ┌standen┐ u. er es immer näher hielt u. zuletzt sagte: „O wie lange habe ich mir das gewünscht.“ Als er es hinsetzte |3| zitterten seine Hände sehr.
Er sah es dann immer an u. stand oft auf es näher wieder zu besehen.
Ueber das Dintenfaß hatte er große Freude. Auch über die Cigarren, er behauptete, seit Joachim’s9 keine mehr bekommen zu haben.
Es wird wohl so sein, daß er einige von denen hat liegen lassen u. (wie er mir auch sagte) von den Ärzten mag er nichts fordern. ┌(Er sagte mir noch besonders: „Clara hat mir gewiß┐ öfters welche geschickt aber ich bekomme sie nicht.“)
Er lud mich jetzt ein, in den Garten mit ihm zu gehen. Was wir nun aber <Alles> ┌noch┐ gesprochen <noch haben>, ja, das kann ich nicht Alles behalten haben! Ich glaube, so leicht fragen Sie mich nichts, das nicht vorgekommen. Ganz ruhig frug ich Ihn auch, ob er Nichts componire? Da erfuhr ich dann, daß |4| er Fugen gemacht habe, hören solle ich sie nicht, weil sie nicht in Ordnung. Viel u. Oft sprach er von Ihnen. Wie sie [sic] „wundervoll“ u. „ganz herrlich“ spielten z. B. die Canons besonders in As u. h, die Skizzen. „Des Abends u. Traumeswirren[“] könne man doch nie so hören etc. etc. Nach den Kindern allen frug er u. lachte herzlich über Felix’ ersten Zahn. Nach Frl. Bertha, Frl. Leser, Junge u. Schönerstedt, Joachim (u. wie!) Hasenclever etc. frug er besonders. Später frug er auch nach Bürgerm. Hammers, Nilo Massenbach etc, ob sie noch in Ddf.
Mit vielem Interesse hörte er von Grimms Titel, Becker etc.
|5| Er erzählte mir von Ihren Reisen viel, vom Siebengebirge u. d. Schweiz u. Heidelberg, sprach auch v. d. Gr. Abegg.
Meine C dur-Sonate sah er mit mir durch u. zeigte mir viel Einzelnes. Ich bat ihn mir einen Gruß an Sie mitzugeben (schriftlich) u. fragte ihn, ob er nicht öfter Ihnen schreiben wolle?
„O gern täglich, immer u. immer, wenn ich nur Papier hätte.“ Er hatte auch wirklich Keins. Er mag eben Nichts von den Ärzten erbitten u. diese geben Ihm ja nichts ohne sein Verlangen.
Ich ließ darauf Papier bringen, das große Format mißbehagte ihm sehr u. meine Art, es zu verkleinern, mag Ihm auch nicht behagt haben. Er setzte sich mehrmals mit dem |6| freundlichsten Gesicht hin u. wollte schreiben. Er behauptete aber, zu aufgeregt zu sein, Morgen wolle er schreiben.
Ich will nur wünschen, daß das Morgen nicht wie gewöhnlich so lange auf sich warten läßt.
Ihr Mann notirte mir mit Blei in mein Taschenbuch, was ich Ihm besorgen solle.
Ein Halstuch, sein gewöhnliches ist nicht heil, u. was er trug „wär’ Ihm gar zu statiös“!
Die Signale; Ich werde die Nummern d. J. durchsehen u. Ihm schicken (mit Auswahl.) dann an Senff schreiben daß Hr. Sch. eben die Signale lesen will.
Auch v. d. n. Z. f. Musik sprachen wir u. welch ein Treiben u. Klatschen das sei.
|7| „Die Gesänge der Frühe.“
Er <behau> sagte mir mehrmal, Arnold sollte nicht auf seine Correctur warten u. ich sagte ihm dann, die habe er schon lange.
Er behauptete jedoch sehr heftig, Arnold könne sie nicht bekommen haben, denn es sei sehr lange her, daß Er sie zum Fortschicken gegeben habe u. da wären sie längst erschienen. Die Ärzte schickten Nichts fort.
Wir stritten lange hin u. her, ich konnte Ihn nicht ganz überzeugen.
Dann schrieb er mir auf meinen Wunsch den Titel:
Concertstück für Pf u. Orch. op. 134
Johannes Brahms
zugeeignet von
Robert.
|8| Soll ich Partitur etc. mit Titel jetzt an Senff schicken?
Dann frug Er mich, ob nicht 20 ┌Comp.┐ Bd. oben in dem Schrank stünden, da wäre wohl kein Platz mehr für den 21ten Bd., sonst wohl wieder Stoff genug, die Bach-Sonaten, Cello u. Violin Concert, Fughetten etc.
Ich bot Ihm an, dafür zu sorgen, was Ihm sehr lieb schien, das „Ihm schicken“ verbat er sich mit einem Lächeln, als ob er es doch <zu> gar zu gerne hätte!
Wollen Wir das besorgen bei Ihrer Rückkunft.
Ich erzählte Ihm, daß Sie in Berlin mit J. was Ihn erfreute. Auch v. d. B dur-Sinfonie am Montag u. von J.’s Variationen hörte er gern.
Von Joachim sprach er so begeistert, wie sonst nur von Ihnen. Vom Musikfest |9| sprach er viel, wie J. schon in der Probe so wunderbar gespielt. Von solchem Ton auf der Geige habe man doch nie eine Idee gehabt.
Wir spielten dann gar vierhändig! Zur Cäsar-Ouverture forderte Er mich auf. Er wollte aber nicht oben sitzen, „Ich bin der Bass“. Es ging nicht ordentlich fest zusammen, wie lange hat Er auch nicht 4händig gespielt.
┌(Sie od.)┐ Mit Ihnen habe er es früher rascher gespielt, sagte Er. Das Arrangement lobte Er auch sehr.
(Vom Quintett erzählte ich natürlich Nichts.).
Der Flügel war sehr verstimmt, ich habe dafür gesorgt, daß er gestimmt wird.
|10| Als ich Ihm Lebewohl sagte, wollte Er mich durchaus zum Bahnhof begleiten. Unter dem Vorwand meinen Rock zu holen, frug ich unten den Arzt, ob es ihm recht sei. Zu meiner aller größten Freude war’s das.
(Ich sprach weiter gar nicht, vorher sah ich ihn nicht einmal.)
Der Wärter ging immer hinter od. neben uns. (Einige Schritte davon.)
Sehr schön fand ichs, daß man die schwere immer verriegelte u. verschloßene Thür ganz geöffnet hatte, als wir fortgingen.
Die Programme mußte ich mit fort nehmen, Er behauptete, jede Nummer zu wissen u. sie gehörten doch in Ihre |11| Sammlung.
Meine Balladen wollte er mir zurückgeben u. freute sich sehr, als sie für ihn bestimmt waren. Es fällt mir noch so Vieles ein, ich muß noch nachholen, Er hatte so große Freude, daß ich seinen Catalog so aufmerksam corrigirt u. ausgefüllt hatte, auch noch, daß ich „die Glocke“ abgeschrieben.
Ueber meinen ungrischen Hut hatte er Freude, wie früher über die Mütze etc.
Denken Sie Sich meine Wonne, als ich jetzt mit Ihm, dem Theuren, noch lang u. lustig marschierte.
Ich sah nicht nach der Uhr u. behauptete auf sein Fragen immer noch Zeit zu haben, u. so gingen wir zum Münster, zu Beethovens Denkmal u. ich brachte Ihn wieder zur Chaussee zurück.
|12| Er benutzte oft meine Brille, weil er die Lorgnette vergessen hatte.
Uebrigens geht Hr. Sch. in dem bekannten Brahmsschen Schritt, den Sie so selten vertragen können, sehr munter!
Er frug mich auch unterwegs, ob Seine Clara denn auch täglich spazieren ginge? Ich sagte Ihm (doch nicht ganz mit Recht!) wenn Sie in Ddf. oder sonst irgendwo mit mir wären, so führe ich Sie täglich spazieren, Sie möchten nicht allein gehen. „Das glaube ich, früher gingen wir immer zusammen,“ sagte Ihr Robert, ganz wehmüthig.
Wir sprachen viel über Seine Bücher u. Noten u. er freute sich königlich, als ich so genau jedes Einzelne u. seinen Platz wußte. Wir neckten uns sehr |13| dabei, denn ┌auf┐ einzelne Bücher mußte Er sich erst besinnen u. dann ich wieder.
Am Endenicher Weg verließ ich Ihn. Er umarmte u. küßte mich zärtlich, beim Abschied trug er mir nur Grüße für Sie auf. Früher that er das oft, auch an Joachim, Bargiel, Frl. Leser, Bertha, Jungé, Schönerstedt, Dr. Hasenclever an Alle viele Grüße.
Unterwegs war ich bisweilen wie berauscht, so glücklich, wie ich Sie nach Düsseldorf gewünscht, das können Sie Sich wohl denken.
Ihr Brief war mir eine rechte Wonne, es war mir, als könnte ich Ihnen die Hand geben.
Trauriges könnte ich Ihnen nicht schreiben, nur daß er bisweilen sehr |14| dringend fort wünschte, dann sprach er leiser u. undeutlicher, weil Er die Ärzte fürchtet, doch sprach Er nichts Wirres, <oder> Unklares.
Er sprach auch davon, daß es im März ein Jahr würde, daß er nach Endenich gekommen, es wäre Ihm, als sei es damals schon grün gewesen, wunderschönes Wetter habe er gehabt, den schönsten blauen Himmel.
Ach ich kann Ihnen nur ganz einfach u. trocken schreiben, wovon wir zusammen gesprochen, das andere, Schönere kann ich ja Alles nicht beschreiben, Sein schönes ruhiges Auge, seine Wärme, wenn Er von Ihnen sprach, seine Freude über das Bild. Denken Sie Sich’s doch Alles |15| so schön Sie nur <denken> können.
Zu fragen werden Sie wohl Nichts haben, nach so ausführlichem Bericht? Wie wünschte ich, ich hätte kürzer aber recht schön geschrieben.
Doch wollte ich gern rasch u. wo möglich Alles schreiben.
Seien Sie denn aufs Herzlichste von Ihrem Robert u. mir gegrüßt, nehmen Sie mit meinem guten Willen fürlieb, Sie wissen, wie gern ich Ihnen mehr Freude machte.
In herzlichster Liebe u. Verehrung
Ihr
Johannes.
Düsseldorf. 23ten u. 24ten Febr. 1855.
|16| Herzlichste Grüße dem theuren Joachim.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Berlin
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
306-313

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,30
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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