23.01.2024

Briefe



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ID: 22442
Geschrieben am: Freitag 08.12.1854
 

Liebe Frau Schumann
Es macht mir ein recht unbehagliches Gefühl gar nicht zu wissen, wo Sie sind, wann u. wo Sie einen Brief bekommen. Haben Sie wohl keinen in Breslau gefunden u. zürnen mir u. „wollen’s mir nicht wieder zumuthen?“
Das glaub’ ich nicht. Jetzt, wo ich kaum Ihrem Manne geschrieben habe, möchte ich es gleich wieder thun, als ob ich jetzt recht viel schreiben könnte – u. doch, wenn’s wieder vielleicht dazu kömmt, dann kömmt auch wieder das „Herzklopfen.“
|2| Ich möchte Ihrem lieben Manne vom verlebten Sommer schreiben, ich könnte Stunden lang Ihm davon erzählen, ohne im Geringsten wehe zu thun, zu betrüben.
Ich wollte nur von Ihnen schreiben, wie Sie so unbegreiflich schön u. groß Ihren Schmerz trugen, da sollte die Sehnsucht in Ihm erwachen, frohe, heiße Sehnsucht, wieder ganz Ihnen zu gehören.
Wenn ich Ihm das schreiben dürfte, brauchte ich <N>nicht<s> <nur[?]> die Zukunft zu zeigen, brauchte nicht meine schönsten Träume von ihr zu erzählen.
Mir kömmt es vor, als könnte ich das beste Portrait von Ihnen machen. |3| Wenn ich’s Ihm schicken könnte!
Gestern hatte ich eine recht große Freude, ich spielte Hrn. Otten von meinen Sachen vor. Er hatte die Var., f moll-Sonate schon zu Haus, u. drückte mir sehr warm die Hand. Hernach spielte ich ihm die ersten Sätze der Son., den 1sten der C dur, die Var. u. 2 Balladen. O, er war ganz glücklich, u. mich hat er auch glücklich gemacht durch sein warmes Lob; das kam so recht von Herzen.
Wenn die Leute doch wüßten, wie gern man solches Lob hört, wenn sie doch nicht immer glauben, einem „Zukunfts“-Musiker sei es lieb, od. doch gleich, verkannt u. nicht verstanden zu werden.
Ergreife oder erhebe ich durch meine Musik Andre, so bin ich selbst es immer mehr, |4| bleiben Andre ungerührt oder hören sie so äußerlich, dann erkaltet gleich das Feuer in mir.
Vorgestern war ich bei Fr. Petersen.
Hr. Avé begleitete mich; Grädener mußte sich erholen (wir hatten wirklich zieml. viel Strapazen die vorigen Abende.)
Es war Gesellschaft da, aber recht gemüthliche. Nur eine Dame ärgerte mich furchtbar, sie hatte eine sehr geräuschvolle Arbeit vor, irgend Seidenzeug zu nähen.
Hörte ich zu (Concert v. Mozart mit Quintett) u. saß im Nebenzimmer, dann saß sie grade vor meinen Augen u. ich sah immer die Hand sich heben u. senken beim Nähen.
Spielte ich, sah ich auch diese – weiße Hand u. hörte immer das Knittern des Zeuges, dann dachte ich jeden Augenblick, jetzt erheben sich alle Damen u. gehen fort u. es war bloß die Schneiderin.
|5| In dem Paquet aus Engl. fand sich kein Brief nur 2 Mäntel, 1 Tuch, Seife u. Nadeln. Wenn’s Ihnen recht ist, behalte ich’s u. bring’s nach Hannover mit.
Meinen Brief von Fl. u. Euseb. habe ich noch immer nicht. Joachim muß es rein vergeßen haben; weßhalb ist Grimm nicht da, der doch bisweilen seine Gedanken etwas mehr beisammen hat.
Bei dem Hrn. Singer fand ich einen ächt ungrischen Hut der mir so sehr gefiel, er schenkte ihn mir, jetzt sollten Sie mich damit sehen! Wie ein ächter Geuse!
Was spielten Sie denn in Berlin? Das A moll-Concert od das D moll? Ich bin immer so begierig das zu wissen. Wenn er kommt, dann grüßen Sie Joachim und Wie!
|6| Wenn es geschehen sollte, daß ich Ihrem theuren Mann bald wieder schreiben müßte dann erschrecken Sie nicht über mein dreistes Lügen, wenn ich ihm schreibe, daß ich Sie wiedergesehen.
Ich sehe Sie doch <so> oft, so gut wie körperlich; z. B. bei der Trillerstelle im Andante der C dur-Sinfonie bei den Schlußstellen, den Orgelpunkten in den großen Fugen wie Sie mir mit Einemmale wie die heilige Cäcilie erscheinen!
Wie harre ich doch immer auf einen Brief von Ihnen, so gern ich Ihnen das Schreiben wegwünschte, ich kanns nicht helfen. Wenn ich in 3 Tagen keinen Brief habe, glaube ich immer, Sie sind krank.
Aber schreiben Sie wenig, so wenig Sie wollen, nur oft, den Eisenbahnwagen bitte ich Sie aber inständigst zu langen Briefen zu benutzen.
Mit innigem Gruß
Ihr
Johannes.
Hbg. d. 8ten Dec. 54.
Von Eltern u. Schwester das Schönste und Herzlichste.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Berlin
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
255-258

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,19
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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