Ulm d. 16t. Aug.
Verehrte Frau,
Länger halt ich’s nicht aus; ich reise zurück, noch Heute.
Heute früh kam ich hier an, bis Abend 9 Uhr wollte ich auf einen Brief von Ihnen warten, dann nach Tübingen fahren, es geht halt nicht. Die letzte Post kam um 4 Uhr, ich habe meine Düsseldorfer Addresse aufgegeben u. fahre zurück.
Ich wäre auf der ganzen Reise nicht heiter geworden, die Namen: Tübingen, Lichtenstein, Schaffhausen, die mich sonst mit wonnigem Schauder erfüllten, lassen mich kalt, so farblos u. trocken erscheint mir Alles.
|2| Ich will nach Hause u. musiciren u. lesen allein, bis Sie kommen u. ich es mit Ihnen kann.
Wenn Sie mich aufs Höchste erfreuen wollten, so lassen Sie mich einen Brief finden in Ddf., doch bleiben Sie in Ostende, mindestens 3 Wochen!
Vielleicht hat <es> Grimm auch nicht weiter als bis Schlangenbad kommen können u. ich finde ihn in Ddf.
Ihrer Freundin herrliches Geburtland will ich mir ein Andernmal besser besehen, wenn ich ruhiger fern von Ihnen u. Ihrem theuren Gemahl sein kann.
Wenn die große Sehnsucht, die ich in diesen Tagen empfand, auf mein Spiel etc. einwirkt, so muß ich eigentlich bald damit zaubern |3| können.
Fräulein Leser ist doch in Ostende?
Ich denke es ganz bestimmt, u. hoffe, daß Ihnen dadurch der Aufenthalt in Ost. recht viel angenehmer wird.
Leben Sie recht wohl u. kommen Sie gesund u. so munter als Sie können nach Ddf. zurück.
Ihr
Johannes Brahms.
Fräulein Reichmann, Leser u. Jungé bitte ich herzlich zu grüßen.
Ich schreibe im Wartesaal der Eisenbahn, mag das mein flüchtiges, verwirrtes Schreiben etwas entschuldigen.
Tausend Grüße.
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