23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 22011
Geschrieben am: Freitag 07.02.1873
 

Calais d. 7 Febr. 1873.
Meine liebe Mila
ich benutze einen Tag der Reise hier, (leider unfreiwilligen, als ein solcher Orkan wüthet, daß wir nicht überfahren können), Dir endlich für Deinen lieben Brief neulich zu danken. Ich war enorm beschäfftigt äußerlich aber auch innerlich! die ganze schwere Weihnachtszeit hat mir arg mitgespielt! mag ich auch ruhig scheinen, im Herzen sitzt doch das tiefe |2| Weh, der bitterste Schmerz um das theuere so heiß geliebte Wesen, und ich leide nicht für mich nur, sondern mit ihm dem armen unglücklichen Manne, der uns die herzzerreißendsten Briefe schreibt. Wie furchtbar war für ihn der Weihnachtsabend! er hat aber doch den Kindern einen kleinen Baum geputzt – er that es in ihrem Sinne. Ach, es scheint mir oft, als sey es nicht möglich, daß uns Allen dieses herrliche Wesen geraubt ist! sie mit dem Liebewarmen Herzen, mit dem frischen Geiste, in ihrer Jugendblüthe dahin, unter der Erde, während ich, ein ganzes |3| Leben schon hinter mir noch lebe! Es ist ein gar zu grausames Geschick. Es ist selten, daß ich laut klage, aber thue ich es, dann ist mir jedes Wort zu arm für meinen Schmerz. –
Der Würfel ist gefallen was unsere Uebersiedlung betrifft – wir ziehen im Herbst nach Berlin. Wir haben es lange überlegt, lange gekämpft, aber die Vortheile fallen zu schwer in die Waagschale, als daß ich anders konnte. Ferdinand klagte schon seit so langer Zeit, daß er nie mit uns leben könne, er lebte höchst ungemüthlich, und war gar schlecht verpflegt in den Restaurationen, so daß er jämmerlich aussah; Felix ist noch zu jung um so ganz ungebunden zu leben, und Marie, die ihn |4| neulich in Heidelberg gesehen, fand es durchaus nöthig, daß er jetzt noch in der Familie lebe, dazu kommt, daß er die drei letzten Semester doch in Leipzig oder Berlin durchmachen wollte, und da ist es gewiß ein Glück für ihn, wenn er bei uns lebt, und den Bruder zur Seite hat. <K[?]> Zu dem Allen kommt noch, daß ich dann ganz im Mittelpunkt von Deutschland bin, überall hin schnell gelange, Alles in Kürze abmachen kann und immer wieder mein Zuhaus finde ┌auch gut bezahlte Stunden doch gewiß immer Einige habe. ┐ Ein sehr schönes Logie wurde uns auch angeboten, was in Berlin jetzt eine Seltenheit ist, und mir fast wie ein Wink erschien. |5| An München habe ich viel gedacht, doch, wie sollten dort meine Söhne ’mal hinkommen? dann für den Rheumatismus, ein schlimmes Clima! und doch recht aus dem Wege. Leider hat sich nun, ganz unerwartet, mein Ferdinand verlobt, da er aber noch sehr jung ist (24 Jahre) und noch kaum eine Existenz für sich allein hat, so muß er doch noch einige Jahre warten, und wird dann doch zu uns ziehen. Seine Braut soll ein sehr nettes Mädchen sein (sie ist 19 Jahr alt), er schreibt überglückliche Briefe, ich bin aber doch der Ueberzeugung daß er der gefangene Vogel ist. |6| Das Mädchen lernte ihn bei ihren Tanten kennen, wo er aus und ein ging, ein hübscher Mensch ist er, und ein vortrefflicher Character dazu, <doch> dann spielt er auch ganz nett Clavier (für solche Leute) – kurz, es ist geschehen! ich konnte nichts thuen, als vorstellen, was in solchen Fällen ja fast nie hilft. Ich glaube, lebte Julie, der er Alles vertraute, noch, es wäre nicht geschehen, auch nicht, wären wir schon früher nach Berlin gezogen – er fühlte sich innerlich so einsam und klammerte sich nun an das Mädchen an.
Hast Du von Brahms ein Albumblatt erhalten? es hält so schwer die Künstler dazu zu bringen.
|7| Elise ist doch ganz wohl wieder? Siehst Du Levi, so theile ihm meinen Plan mit, und auch, daß wir unser Haus in Baden verkaufen wollen. Wie schwer mir das wird brauche ich Dir nicht zu sagen, wenngleich wir die letzten Jahre viel Trauriges dort erlebt – Juliens Besuch war doch auch ganz unsäglich traurig! – Aber es ist mir trotz alledem, als ließe ich ein Stück Leben dort zurück – ich habe doch so unzählige Male, wenn ich auf meiner Veranda saß, geschwelgt in dem Grün der Wiese, den schattigen schwarzen Tannen, das Plätschem der Oos – es war ein schönes Stück Erde, das mir gehörte. Ich meine oft, ich könne es nicht überstehen, den Abschied |8| von dort! –
Du hast wohl gelesen, wie ehrenvoll ich von meinen Freunden überrascht worden bin! man hat mir 30,000 rh überreicht, damit ich mich nicht mehr so sehr anzustrengen brauche, und die nächsten 10 Jahre sollen noch jedes Jahr 1 000 rh dazu kommen. Das ist eine große Beruhigung für mich; wäre ich auch noch nicht im Stande von meinen Zinsen mit meinen Kindern zu leben, so wie ich es gewöhnt bin, so ist es doch eine wesentliche Erleichterung. Ach hätte mein Robert das erleben können! wie hat er sich gesorgt! –
Ich fühle meine Hand sehr schmerzen, darum Lebewohl, meine theuere Emilie!
Grüße alle die Deinen herzlichst! auch von den Kindern, die Beide bei mir sind. Wir hoffen ◊4morgen nach London zu kommen. 14 Hyde Park Gate Kensington, London.
In treuer Umarmung Deine
alte Clara.
Grüße Levi herzlich! – Fritz besuchte mich erst in der letzten Zeit, fand mich nicht, man sagte ihm meine Sprechstunden, er kam aber nicht wieder! –

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Calais
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
544-548

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides; Abschr. (gek.) in Copien-Mappe Marie Sch.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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