Dresden d. 6 Mai 1850
Meine liebe Emilie,
lange ließ ich Dich wieder auf Antwort warten, doch das bist Du schon gewohnt! ich bin wirklich gar zu sehr beschäfftigt, und überzeugtest Du Dich einmal davon, so wärest Du nachsichtig für ewige Zeiten! ich hoffe übrigens, Du bist es auch ohnedem! Für Deinen lieben Brief vom 10 Jan. ┌und 7 März┐ tausend Dank, vor Weihnachten aber erhielt ich Keinen, was nicht an der Adresse gelegen haben kann, da mich jeder Briefträger hier wohnen weiß. Nun will ich Dir gleich erzählen von den letzten Monaten, was wir gethan und wie es uns ergangen. Anfang Februar reisten wir nach Leipzig, wo Roberts Oper einstudiert werden sollte, doch als wir hinkamen bat der Theaterdirector meinen Mann dringend sich bis nach der Messe zu gedulden, da er vor der Messe noch den Propheten einstudieren müsse, und wenn er zur Messe nicht eine Spectakeloper bringe, die das Meßpublikum zöge, er banquerott mache. Robert ließ sich dazu bereden (er hatte nämlich sein schrifftliches Ehrenwort in Händen, daß die Proben am 1 Febr. beginnen sollten), umsomehr, als Wirsing ihm bessere Bedingungen als früher stellte. Nun hatten wir uns aber auf eine Abwesenheit von 6 Wochen eingerichtet, blieben daher 4 Wochen in Leipzig, wo wir auf Händen getragen wurden und furchtbar viel musicierten, Robert manches Neue mit großem <Succes> Beifall hören ließ, ich viel spielte ect. und von da nach Hamburg reisten, von wo aus Robert |2| eine Einladung erhalten hatte zur Aufführung seiner Genovefa-Ouvertüre (die in Leipzig Enthusiasmus erregte) und ich, zum Spiel des Concertes von ihm. Auch dort sah man uns Alles an den Augen ab, ich und besonders Robert wurde mit der höchsten Verehrung überall aufgenommen, Alles, was ich von ihm spielte fand den größten Beifall, desgl Alles, was er aufführte. <Neue Viele> Seine Sachen waren dort viel mehr bekannt, als hier! z. B. seine Streichquartette waren schon mehrere Winter hindurch <jed> aufgeführt worden, während man hier noch Keines gehört. Nun aber kommt der Beschluß unserer Reise, der so schön war, daß ich ihn nie vergessen werde! – Während wir in Hamburg waren, war Jenny Lind in Berlin, da wir nun die Absicht hatten über Berlin nach Haus zu reisen, so schrieb ihr mein Mann, daß sie uns schreiben möchte, ob sie am 24ten März noch in Berlin sey, wo wir dorthin kämen, und, falls sie daselbst sey, einen Tag bleiben würden. An dem Tage, wo wir Antwort erwarteten, kam dieselbe nicht, aber Jenny Lind selbst, und gleich vom Bahnhof zu uns; sie sagte, sie habe in Berlin noch drei Concerte, wo sie zu singen versprochen, im Stiche gelassen, nur um noch zur rechten Zeit zu kommen und in meinem Concerte in Hamburg zu singen. Du kannst Dir meine Ueberraschung denken, ich umarmte sie gleich vor Freude – das Concert von mir war aber vorüber, Tags darauf aber Eines in Altona, wo sie nicht abließ zu singen. Doch damit |3| war sie noch nicht zufrieden, sie ließ nicht locker, bis ich in Hamburg noch eine Matineé (ein Abend war nicht zu finden) gab, wo sie sang. Das waren zwei Concerte, wie sie so leicht nicht wieder kommen! wie sang sie, wie unbeschreiblich schön! wie herrlich Roberts Lieder! er hatte sie nie so schön zu hören geglaubt! auch ich spielte nicht schlecht, und war sehr glücklich darüber, daß ich nicht gegen die Lind zurückstand, sondern ganz dieselbe enthusiastische Aufnahme fand, wie sie, eben so wiederholen mußte, wie sie! das war damals in Wien, wo sie sang, nicht der Fall, und da fühlte ich mich schrecklich gedehmüthigt. Du mißverstehst mich gewiß nicht, und weißt ohne, daß ich Dir’s auseinander setze, wie ich’s meine! – Aber meine Emilie, welch ein Wesen ist diese Lind! ein in jeder Hinsicht von Gott begabtes! wie Alles, was sie singt, wie erfrischend Alles, was sie spricht! welch ein Gemüth, welch ein Adel der Seele, welch eine Musik in dem Mädchen! welch eine Auffassung von Allem gleich das erste Mal! und wie ist sie eben so in andere Musik versunken, wenn sie sie hört, als wenn sie selbst singt! wie entgeht ihr keine, auch nicht die feinste harmonische oder künstliche Wendung in der Composition! Wie singt sie den Sonnenschein vom Robert! da brennt Einem die Sonne wahrhaftig auf den Buckel! <wie> und so, mit der Frische singt sie Alles! ach, hättest Du sie nur gehört, wie wir, so ganz allein Stundenlang in unserem <Brief> Zimmer! und welche Verehrung hat sie für meinen Mann, wie schreibt sie noch vor einigen Tagen an uns, wo sie in einem Briefe an Robert sagt, „Lieber Herr Doctor, Sie haben mich um so Vieles reicher |4| gemacht durch Ihre herrlichen Lieder, daß Sie mir erlauben müssen, Ihnen meinen innigsten Dank auszusprechen“. Dieß und Vieles über ihn schrieb sie auch an mich! – Ich erschrecke, daß ich Dir nun schon beinahe zwei Seiten von ihr schreibe, aber mir ist das Herz so voll von diesem Wesen, ich liebe und verehre sie so, daß ich, fange ich einmal von ihr an, nicht gleich aufhören kann. Man sollte übrigens eigentlich gar nicht erst anfangen <von ihr>, denn die Worte sind zu arm für die Gefühle. <eine …[?] s…[?]>
Wir reisten nun Ende März hierher zurück und sind seit 6 Wochen also wieder hier, gehen aber, nachdem wir gestern Nachricht erhielten, daß heute mit dem Einstudieren der Oper begonnen wird, in 14 Tagen, etwa d. 17 Mai nach Leipzig und bleiben dort 4 Wochen. Von da gehen wir hierher zurück, besorgen unsere häuslichen Angelegenheiten, packen ein, und ziehen Anfang August nach Düsseldorf, wenn nicht irgend Etwas Anderes noch in den Weg tritt. Hier bleiben wir keinenfalls. – Wie wird’s aber nun mit Dir? wann soll ich Dich sehen? wie freute ich mich im Anfange Deines Briefes, wo Du schreibst, Du kommest zum April, doch wie bitter war wieder die Enttäuschung am Schluß! wann werde ich Dich nun sehen? wenn Du gegen Ende Juni kämest, fändest Du uns wieder hier, freilich aber in großem Troubel, vom ersten Septbr. an sind wir bestimmt in Düsseldorf – wo willst Du mich nun besuchen? ich lasse Dich nicht mehr los von Deinem Versprechen. Wir ziehen Anfang August nach Düss., würden also vom Anfang Septbr. an völlig eingerichtet sein! da wäre es wohl am schönsten, Du besuchtest mich da? denn, habe ich Dich einmal, dann aber auch mit Muse! –
|5| Ueber Deine guten Nachrichten Alle, habe ich mich sehr gefreut, besonders, daß Elisens Mann wieder wohler ist, denn um ihn hatte ich Sorge. Du schreibst mir wohl nun recht bald, ob Elise zurück ist, und, schreibst Du ihr, so grüße sie recht herzlich von mir, auch ihren Mann.
Jetzt ist es gerade ein Jahr, daß wir geflüchtet waren, und unter Todesaengsten den Kanonendonner von Dresden hörten! welch schreckliche Zeit! und wie viel schrecklicher wird sie noch kommen! das sagt alle Welt! die Handlungsweise der Fürsten <de> ist leider der Art, daß sie die Democratie nicht unterdrückt, sondern deren Wachsthum nur nährt. Auch hier, sagt man, sey die Democratie ganz außerordentlich organisirt. Was werden wir noch erleben!? –
Wie geht es der lieben Lina? malt sie fleißig? ist sie ganz wohl? was macht Deine verehrte Mutter? wie gerne sähe ich sie einmal wieder! wäre nur München ein etwas musikalischerer Ort, da wäre doch Hoffnung, einmal hinzukommen! –
Du erhältst hierbei das Clavier-Album; das Medaillon, das eben im Stich bei Härtels erschienen, kann ich Dir leider nicht schicken, da die wenigen Exemplare, die wir erhielten, als wir in Leipzig waren, auf der Reise fortgingen – Diesem und Jenem schenkten wir, und da waren sie auf einmal alle. Nicht einmal für uns selbst haben wir jetzt Eines.
Meine Kinder sind Alle munter – mein Jüngster ist wieder ein wahrer Engel von einem Knaben, und macht uns große Freude! sie wachsen Alle heran, man erschrickt, wenn man sieht, wie so mit Macht das Alter heranrückt! – Ach Gott, warum kann man nicht ewig jung bleiben! –
Addio, meine liebe Mila! grüße Deine theuere Mutter, Elise und Lina und Dich Selbst am allermeisten von
Deiner Dich wahrhaft liebenden
Clara.
Ein Brief von Dir findet mich bis 17 Mai hier, von da in Leipzig unter der Adresse: Herren Breitkopf u Härtel.