23.01.2024

Briefe



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ID: 21982
Geschrieben am: Sonntag 17.01.1847
 

Wien d. 17 Januar 1847
Meine gute Mila,
gern hätte ich Dir schon früher geschrieben, doch hatte ich wirklich sehr viel Abhaltungen, was auch Elise weiß, und dann wußte ich, daß Dir Elise Alles mich betreffende mittheilte, so kann ich Dir denn heute auch nichts sagen, was Du nicht schon wüßtest, und sende Dir hiermit nur einen recht herzlichen Gruß. Elise sagt mir, daß Du sehr viel zu thuen habest, und das ist mir sehr lieb, denn das zerstreut Dich doch ein wenig. Elise ist, Gott sei Dank, wieder gefaßter, und nimmt auch wieder mehr Theil an Allem, wenn auch oft mit innerem Kampf; sonst ist sie so ziemlich wohl und sieht auch wieder recht gut aus, was mich für sie beruhigt. Wir sehen uns oft, mir jedoch immer noch nicht oft genug! theils bin ich abgehalten, theils ist Elise bei ihren Schwägerinnen, die sie mir oft entziehen. Gestern hatten wir eine Matinée bei uns, wo Elise im Schlafzimmer war, und von weitem zuhörte, was ihr aber jedenfalls das liebste war, war die Bekanntschaft der Lind, die ich ihr zuführte, und die sie gleich lieb gewann. Elise wird Dir von meinem letzten Concert geschrieben haben – es war einestheils erfreulich, anderentheils aber auch betrübend für mich, daß ein paar Lieder von der Lind mehr Publikum anzogen, als ich es in drei Concerten zusammen erreichte – das hatte ich mir von Wien nicht gedacht, und nun die hämischen Angriffe gegen mich, von Seiten der Neidischen und Anderen! Du wirst Saphir’s Impertinenzen gelesen haben (ich nicht), doch bittet Dich Robert beifolgende kleine Notizen (die mich nur einigermaßen rechtfertigen sollen) an Kolb mit der großen Bitte zu geben, sie in der Augsburger Zeitung aufzunehmen – es geschieht mir ein großer Gefallen damit. Hier kennt man den Grund dieser Schändlichkeiten, im Ausland aber nicht, und das ist doch ärgerlich für mich. Willst Du so gut sein das zu übernehmen? –
Wir reisen nun d. 21 ab nach Brünn, dann nach Prag, und von da nach Dresden und Berlin. Ob wir im Herbst hierher kommen, ich weiß es nicht! man weiß nicht, was man thuen soll, ich sage „interim aliquit fit“! –
|2| Nun aber, liebe gute Mila, sage Deiner lieben Mutter das Herzlichste von mir, und wie innigen Theil wir an ihren Leiden nehmen, wie sehr wir ┌uns┐ aber auch freuen über die ┌nun┐ allgemeine Theilnahme, und das ehrende Andenken Deines Vaters von allen Seiten; sollte er es auch nicht mehr erleben, so ist es doch für Deine Mutter ein schönes Gefühl Zeugin dieser Anerkennung zu seyn. Die liebe Lina grüße herzlichst von mir, und sag ihr, wie gern ich sie einmal sähe! Gott weiß, wann das nun wieder wird! und Dich, wann werd ich Dich sehen? es war doch gar so kurz und traurig unser Beisammenseyn! –
Elise ist heute nach Schönau auf einige Tage, was mir doppelt leid thut, als ich sie gerne die letzten Tage hier noch recht viel gesehen hätte! ich hab sie so lieb und verehre sie so innig, daß jede Stunde bei ihr ein Labsal für mein Herz ist.
Wann wirst Du mir einmal schreiben? adressiere nur nach Dresden wie früher, und thue es recht bald. Robert grüßt Euch Alle auf das freundlichste, ich umarme Dich aber in alter treuer Liebe Deine
Clara.
NB. Robert läßt Dich, liebe Mila, bitten, dem Kolb die Notizen als aus einem Privatbrief an Dich mitzutheilen, er möchte nicht, daß sie wie von ihm selbst kämen. Kolb thut für Dich ja Alles, also wird er Dir auch den Gefallen thuen.
Schreibe mir bald eine Zeile, damit ich weiß, ob Kolb es gethan.
Zedlitz hat uns neulich besucht – er sieht sehr gutmüthig aus, ich hatte ihn mir aber ganz anders gedacht. Eichendorf [sic] war auch bei unserer Matinée und entzückt über Roberts Compositionen seiner Lieder – er meinte, er habe seine Gedichte erst zum Leben gebracht. Addio!
[Beilage]
Wien d. 16 Jan. – Jenny Lind ist bis jetzt vier mal in der Tochter des Regiments von Donizetti aufgetreten, und mit immer größerem Enthusiasmus aufgenommen worden. Es gehört diese Rolle sicherlich zu ihren <Merk> merkwürdigsten; die feinste Linie, wie weit mädchenhafter Muthwille gehen darf, scheint hier getroffen, und rührt <sie> ┌diese Künstlerin┐ die Trommel auch nicht, so gewiß doch alle Herzen. Sonntag tritt sie zum fünften male in derselben Rolle auf. – Die Concert-Saison, kaum angefangen, geht bereits ihrem Ende <z> entgegen, das interressanteste war das letzte Concert von Madam Clara Schumann, in welchem auch Fräulein Lind mitwirkte. Leider hat <dieser Umstand> das Concert der Concertgeberin, <(> weil sie, wie wir hören, nicht allen Redactionen Billette zugesendet, Kränkungen von Seiten einiger Journalisten zugezogen, für die sie sich andererseits durch die innige Anerkennung aller gebildeten Künstler und Kunstfreunde Wien’s entschädigt halten wird. – R. Schumann’s „Peri“ werden wir für jetzt nicht zu hören bekommen, da der Componist zur Aufführung derselben durch die Singacademie in Berlin eingeladen worden ist, wohin er nächstens mit seiner Gattin abreisen wird. Auch die Aufführung des Meyerbeer’schen „Feldlager“ verzögert sich von Woche zu Woche; der Text |2| hat eine totale Umwandlung erfahren müssen, und ist die Handlung, wie man sagt, nach Schweden verlegt worden.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Absendeort: Wien
  Empfänger: List, Emilie (962)
Empfangsort: Augsburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
216-220

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides; Abschr. (gek.) in Copien-Mappe Marie Sch.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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